KARL WOLFGANG FLENDER: „HELDEN DER NACHT“


Der neue Roman von Karl Wolfgang Flender beginnt wie ein klassischer Detektivroman mit einem jungen Ermittler bei einer ermüdenden nächtlichen Beschattung und einer knurrigen Kommissarin, die zu einem Tatort gerufen wird. Der Titel lautet „Helden der Nacht“, allerdings sind weder Bryan Auster noch Colleen McCallum genau das.
Eigentlich ist Bryan ein höchst laienhafter Amateurdetektiv, der lediglich seinen rückenkranken Vater vertritt und ansonsten gerade an seiner Masterarbeit schreibt. Die sich um die wortkargen, knallharten Schnüffler aus besten Zeiten des Krimi noir dreht. Für die väterliche Detektei in Berlin-Neukölln (die durchweg amerikanischen Namen der Protagonisten sind quasi eine schrullige Huldigung an Philip Marlowe und ähnliche und ohnehin sollte man das alles nicht zu bierernst nehmen) jedenfalls laufen die Geschäfte im Digitalzeitalter sehr schlecht für klassische Detektive.
Da stolpert die genervte Colleen in einen wesentlich heutigeren Mordfall mit einer exekutierten jungen Schönheit. Besonderes Merkmal: dieser Audrey Estrelle wurde zuvor ein Ringfinger abgesägt und den musste sie offenbar eigenhändig an die Wand nageln. Es bleibt nmicht bei dem einen abgesägten Ringfinger und es geht nicht nur bald recht blutig und rasant zu, auch die Ebenen von Kommissarin und Bryan nähern sich allmählich einander an.
Anti-Held Bryan peilt jedoch erst, dass da etwas im Busch ist, als ihm sein Freund Kennie, der kiffende Computer-Nerd, auf die Sprünge hilft. Der stößt im Darknet auf das ominöse IT-Unternehmen „Walhalla Capital“ und dringt in das spezielle Seitensprung-Portal „SideStep“ ein. Nutzer können es für diskrete Affären nutzen und – werden ihrerseits dann erpresst. Was Audrey Estrelle dann ja auch mehr als nur den Ringfinger gekostet hat.
Bei „Walhalla Capital“ fühlt man sich zunehmend von den privaten und den professionellen Schnüfflern genervt und reagiert drastisch. Womit der Roman sich in ganz andere Dimensionen bis hin zur ausgewachsenen Verschwörung steigert. Bryan muss ebenso drastisch wie unfreiwillig lernen, wie krass die Unterschiede zwischen hardboiled Krimis zu Dashiell Hammetts Zeiten und denen der digitalen Gegenwart sind und hat die sarkastische Erkenntnis: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass du nicht verfolgt wirst.“
Erzählt wird die ziemlich schräge und nur bedingt realistische Geschichte mit vielen Romanzitaten und genüsslich aufgespießten Stereotypen des Krimi-Genres. Und es offeriert ein ganz eigenes Lesevergnügen, wie der ebenso intelligente wie lebensfremde Literaturstudent mit den Unterschieden zwischen Detektivroman-Wirklichkeit und der realen Gegenwart in einen lebensgefährlichen Clinch gerät.

# Karl Wolfgang Flender: Helden der Nacht; 400 Seiten; DuMont Verlag, Köln; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1355 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de