CHRISTOPH HEIN:
VERWIRRNIS
Am Anfang von Christoph Heins neuem Roman Verwirrnis lernt man Friedeward
Ringeling kennen. Dieser ältere Herr scheint in seinem Habitus irgendwie von gestern und
tatsächlich hat sein seltsames Auftreten seinen Grund in den durchgehend schwierigen und
meist unerfreulichen Umständen seines Lebens.
Das begann exakt ein halbes Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Heiligenstadt in
der tiefsten thüringischen Provinz. Sein Unglück ist der Vater, der nicht nur Pius
heißt, sondern auch ein fanatisch gläubiger Katholik und obendrein Monarchist ist. Der
rigorose Widerling sorgt daheim mit der siebenschwänzigen Peitsche für eine brutale
Erziehung von Friedeward und seinem jüngeren Bruder Hartwig, wogegen Hildegard mit
Kopfnüssen noch gnädig davonkommt.
Für Friedeward aber entwickelt sich noch ein viel schwierigeres Problem, denn in der
Schule lernt er Wolfgang Zernick kennen, Sohn eines katholischen Kantors. Und die beiden
Jungen erkennen schon bald ihre tiefe Zuneigung füreinander und kommen sich beim
gemeinsamen Ferienaufenthalt an der Ostsee auch körperlich näher.
All das darf nicht herauskommen, was in der DDR der 50er Jahre an sich schon fast
unmöglich erscheint. Durch eine Unvorsichtigkeit aber werden sie dann ausgerechnet vom
kompromisslosen Pius Ringeling in flagantri erwischt. Der erzwingt bei Wolfgangs Vater,
dass der seinen Sohn in eine andere Stadt verschickt. Das Liebesband der Beiden kann das
jedoch nicht zerbrechen.
Als Studenten sind sie alsbald in Leipzig wieder beisammen, wahren aber weiter die
Verschwiegenheit. Gesetzliche Strafe hätten sie zwar nicht mehr zu fürchten, nachdem in
der DDR der Straftatbestand homosexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen 1957
abgeschafft wurde. Für das gesellschaftliche Leben und jegliche Karriere dagegen wäre
das Bekanntwerden auch weiterhin Gift. Und so gehen die Beiden Zweckbündnisse ein.
Während sich Wolfgang mit einem Mädchen verlobt, das vor lauter katholischer
Frömmigkeit seinen Mangel an sexuellem Interesse mit Erleichterung zur Kenntnis nimmt
ohne den wahren Grund zu kennen heiratet Friedeward pro forma Jacqueline.
Eine gute Tarnung auch für sie, die nämlich mit einer Dozentin liiert ist. Alles bleibt
im Halbdunkel, dennoch verliert Friedeward die Liebe seines Lebens, als Wolfgang im Westen
studiert und 1961 die Mauer gebaut wird.
Friedeward lebt weiter in einem Gefängnis der Selbstverleugnung, um seine berufliche
Karriere nicht zu gefährden. Wolfgang dagegen muss seine Homosexualität nicht nur aus
solchen gründen weiterhin strikt verbergen, denn im freien Westen gilt noch
lange Zeit das strafbewehrte Verbot.
Christoph Hein gelingt es, das Alles mit wohltuender Nüchternheit und ohne explizite
Körperlichkeit dazustellen. Und dafür, dass dieser Roman absolut authentisch wirkt,
sorgt die Verknüpfung mit den realen Ereignissen wie dem 17. Juni 1953, dem Mauerbau und
der Wende, die allesamt natürlich auch auf die Leben von Friedeward und Wolfgang
ausstrahlen. Fazit: eine spannende Geschichte von einem Leben voller Heimlichkeiten in
einem Staat, in dem nichts wirklich heimlich bleiben kann ein großer Wurf.
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