ISABEL ALLENDE: „EIN UNVERGÄNGLICHER SOMMER“


„Mitten im Winter erfuhr ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher Sommer ist.“ Dieses Zitat aus dem Essayband „Heimkehr nach Tipasa“ von Albert Camus steht am Ende einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte und lieferte den Titel für Isabel Allendes jüngsten Roman.
„Ein unvergänglicher Sommer“ lautet der Titel, dabei setzt er Anfang 2016 in Brooklyn ein, das von einem Schneesturm heimgesucht wird. In ihrer Souterrainwohnung fröstelt Lucia Maraz, 62 Jahre alt und derzeit Gastprofessorin an der New York University. Was die Chilenin etwas ärgert, denn das Haus gehört ihrem gleichaltrigen eigenbrötlerischen Chef Professor Richard Bowmaster, der ganz spartanisch nur mit seinen Katzen dort wohnt und kaum heizt.
Doch die geschiedene aber immer noch lebenszugewandte Frau friert auch innerlich, denn „sie vermisste Sex, Romantik und Liebe“. Ihr scheuer Vermieter gefiele ihr zwar, ist aber abweisend. Da erwächst aus einer Bagatelle ein Domino-Effekt, der alles ändert. Sein Kater vergiftet sich mit Frostschutzmittel und das treibt Richard trotz des Schneetreibens zum Tierarzt.
Dabei rutscht er durch eine Unachtsamkeit auf das Heck eines Lexus. Dessen sehr junge Fahrerin aber nur verzweifelt versucht, die verzogene Heckklappe zu schließen. Und panisch davonfährt. Richard konnte ihr nur noch seine Visitenkarte ins Auto werfen, doch – Stunden später steht sie völlig aufgelöst vor seiner Haustür. Da er ihr offenbar spanisches Gestammel nicht versteht, holt er Lucia zur Hilfe.
Womit sich nun bei Tee und Haschkeksen alle Zutaten für eine herrliche schwarze romantische Komödie eröffnen. Evelyn, die 23jährige Lexus-Fahrerin, hat allen Grund, so aufgeregt zu sein: erstens stammt sie aus Guatemala und hat keine Papiere und zweitens hat sie das Auto ihres brutalen und dubiosen Arbeitgebers ohne Erlaubnis benutzt.
Drittens aber liegt eine Leiche im Kofferraum – noch ein Grund mehr, die Polizei rauszuhalten. Mit resoluter Gradlinigkeit übernimmt Lucia nun quasi das Kommando – Auto und Leiche müssen beseitigt werden und die winterlichen Bedingungen sind dabei von großem Vorteil. Was sich daraus ergibt, glänzt nicht nur mit einiger Situationskomik, Isabel Allende schildert ebenso subtil wie lebensnah die Probleme älterer Menschen insbesondere, wenn es um die Liebe geht. Und wie hier bei Richard die Liebe und das Begehren erwachen und wie er und Lucia zusammenkommen, das ist schlicht hinreißend beschrieben.
Die für ihren magischen Realismus gerühmte Autorin erlebt selbst soeben mit nun 76 Jahren eine solche späte Liebe. Doch sie ist deshalb ihren Ur-Themen nicht untreu geworden und die filmreife kriminelle Liebesgeschichte ist eigentlich nur die großzügige Rahmenhandlung einer Tragikomödie im Sinne des Wortes. Die einzigartigen Charaktere nämlich, die der ominöse Winterzwischenfall zusammenbringt, werden erst durch ihre Vergangenheit so zusammengeschweißt, dass sie sich auf so etwas Verrücktes einlassen.
So kam Evelyn ja nicht als Wirtschaftsflüchtling in die USA, vielmehr hat ihre Großmutter sie als Teenager auf die heikle Schleppertour gesetzt, um sie zu retten. Ihr Bruder hatte sich den marodierenden Gangstern der extrem brutalen MS-13 angeschlossen. Und offenbar einen bösen Fehler gemacht, denn nach kurzer Karriere als stolzer Ganove baumelt er gemeuchelt an der Brücke des Dorfes. Quasi in Sippenhaft wird bald auch Evelyns anderer Bruder ermordet und sie selbst so malträtiert, dass sie nicht nur physisch schwer angeschlagen ist.
Ein durchaus nicht untypisches Schicksal lateinamerikanischer Flüchtlinge, das aber auch Lucia nur zu gut kennt. Ihr Bruder war Kommunist und verschwand spurlos, als das Militär 1973 die Allende-Regierung wegputschte und unter jeglichen Verdächtigen blutig aufräumte. Als Sympathisantin musste auch sie fliehen und lebte lange im kanadischen Exil. Und ihre Vita wie auch ihre handfeste und zugleich emotionale Art als starke Frau erinnern an die Autorin selbst, bekanntlich eine Nichte von Salvador Allende.
Aber auch Richards introvertierte Lebensweise hat ihre tieferen Gründe in schicksalhaften Ereignissen in jüngeren Jahren mit seiner brasilianischen Ehefrau und dem Verlust eines Kindes. Und für seine Empathie gegenüber Flüchtlingen steht zudem sein Vater, der als junger Mann nur durch Flucht und hilfreiche Hände dem Holocaust entging.
Isabel Allende hat mit ihrer legendären Fabulierkunst das ebenso authentische Tragische souverän mit der teils neckischen, teils warmherzigen realistischen Gegenwartsgeschichte zu einem Spätwerk verwoben, das berührt und fesselt. Und die chilenisch-amerikanische Autorin ist mit den tiefgründigen Themen dieses Romans so aktuell wie selten zuvor.

# Isabel Allende: Ein unvergänglicher Sommer (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 348 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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