JONATHAN EIG: „ALI – EIN LEBEN“


Olympische Spiele 1960, in Rom gewinnt der 19-jährige Cassius Marcellus Clay die Goldmedaille im Halbschwergewicht. Im Februar 1964 wird er Weltmeister im Schwergewicht und wechselt bald seinen „Sklavennamen“ Clay zu Muhammad Ali.
Natürlich gibt es diverse Biografien zu dieser größten Sportlerlegende aller Zeiten, dennoch ist die unter dem Titel „Ali – Ein Leben“ von Jonathan Eig die wohl ultimative. Der US-Bestsellerautor hat in fünfjähriger Recherchearbeit hunderte von Interviews mit Zeitzeugen geführt und er konnte außerdem tausende Seiten bisher unveröffentlichter Aufzeichnungen des FBI auswerten.
Eig schreibt chronologisch von Alis Geburt am 17. Januar 1942 in Louisville, Kentucky, bis zu seiner Beerdigungsprozession im Juni 2016 in Scottsdale, Arizona. In einem fundierten Abriss belegt er auch, dass der Name Clay tatsächlich vom Urgroßvater stammt, der ein Sklave war. Und dass der Großvater ein verurteilter Mörder und der Vater ein gewalttätiger Trunkenbold war.
Schon der Weg Alis zum Box-Champion – der als bisher einziger den Titel als „Unumstrittener Boxweltmeister“ dreimal gewann – liest sich ausgesprochen spannend und offenbart eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Schon als Jugendlicher hatte er die Rassendiskriminierung beklagt: „Die Welt ist nur für die Weißen da.“ Zugleich ging er mit brennendem Ehrgeiz an sein Ziel, ein ganz Großer im Boxen zu werden.
Schon früh zeigte sich das einzartige Talent der Selbstvermarktung des „Greatest“, wie er sich selbst titulierte. Auch seine psychologische Kriegsführung war bereits ein tragendes Element beim legendären ersten Gewinn der Weltmeisterschaft im Februar 1964. Die Wetten standen 7:1 gegen ihn, denn Sonny Liston war der gefürchtetste und seit jeher unbesiegte Schläger.
Doch das Messen zwischen attraktivem Großmaul und „hässlichem Bär“ wurde zur Sensation und Ali faszinierte mit seinem berühmten Ali-Shuffle: „Schwebe wie ein Schmetterling! Stich wie eine Biene!“ Auf diese Weise umtänzelte er seinen Gegner auf schnellen Beinen, war kaum selbst richtig zu treffen, setzte aber mit ständigen Jabs Nadelstiche, bis die blitzschnelle Volltreffer-Kombination einschlug.
Doch Ali war auch schon Anfang der 60er Jahre mit dem radikalen Bürgerrechtskämpfer Malcolm X befreundet und Elijah Muhammad, Oberhaupt der noch radikaleren schwarzen „Nation of Islam“, wurde zu seinem geistigen Führer. Und Ali, der sonst so witzige, großmäulige und stets gut gelaunte Hüne wurde als Rebell zeitweise einer der meistgehassten Männer des Landes. Gegen dessen herrschende weiße Klasse er ätzte: „Ich bin Amerika. Ich bin der Teil, den Ihr nicht anerkennen wollt.“
Um so heftiger schlug das weiße Amerika zurück, als Ali 1967 den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerte. „Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong. Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger“, stellte er provozierend fest. Doch die Wehrdienstverweigerung war damals eine Straftat und wurde mit einer Haftstrafe belegt – die er dank einer Kaution aber nicht antreten musste. Allerdings wurden ihm auch die Boxlizenz entzogen und der Weltmeistertitel aberkannt.
Als er dank eines gesetzlichen Schlupflochs dann wenigstens im Bundesstaat Georgia boxen konnte, war nun die „Nation of Islam“ aus religiösen Gründen dagegen. Was Ali ignorierte, denn es kollidierte mit zwei seiner stärksten Antriebskräfte: seiner unstillbaren Gier nach Ruhm und seinem steten Drang zur Rebellion. Und der so Angefeindete wurde in dieser Zeit zum Idol sowohl der Schwarzen wie auch der Moslems und der Kriegsgegner.
Doch Jonathan Eig zeigt ebenso, dass der Kämpfer gegen den weißen Rassismus und später für seine Friedensarbeit gerühmte Ausnahmesportler nicht nur ein komplizierter sondern auch in sich zerrissener Mensch mit dunklen Seiten war. Das belegen unter anderem Aussagen von zwei der vier Ehefrauen des Boxers, die von wilden Eskapaden mit vielen Frauen berichteten. So erwischte Khalila Ali den Champion in der Nacht vor dem „Kampf des Jahrhunderts“ mit einer Prostituierten. Und an just jenem 8. März 1971 verlor Ali ausgerechnet gegen seinen Erzfeind Joe Frazier erstmals als Profi.
Ähnliches wiederholte sich 1973 gegen Ken Norton. Allerdings hatte sich auch in Alis Boxstil etwas gewandelt: Ali schwebte und tänzelte nicht mehr. Stattdessen übte er sich im Dope-a-Rope, einer statischen Strategie an den Seilen, die immense Nehmerfähigkeiten erfordert. Und natürlich nicht folgenlos bleibt, wie Jonathan Eig wissenschaftlich hat überprüfen lassen.
Die Zahl der erhaltenen Treffer stieg in unglaubliche Höhen und bereits Jahre vor seinem letzten Kampf mit fast 40 wurden die Anzeichen von Hirnschädigungen unübersehbar. Um so größer war nach der Karriere die Verehrung für den schwer von der Parkinsonschen Krankheit gezeichneten Pazifisten und Kämpfer gegen Rassismus und Unterdrückung.
Der Biograf macht den Menschen Muhammad Ali hinter dieser großen Heldenfigur erkennbar und er tut es schonungslos offen. Aber eben auch mit dem größtmöglichen Maß an Objektivität. Fazit: man muss kein Freund des Boxsports sein, um sich von dieser großartigen Biografie faszinieren zu lassen.

# Jonathan Eig: Ali – Ein Leben (aus dem Amerikanischen von Werner Roller); 695 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 32

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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