MICHAEL FINKEL: DER RUF DER
STILLE
Als der Polizist Terry Hughes am 3. April 2013 einen keineswegs ungepflegt wirkenden Mann
nahe dem Ferienhausareal am North Pond im US-Bundesstaat Maine wegen Einbruchs festnimmt,
ahnt er noch nicht, was für einen Sensationsfund er damit gemacht hat.
Dieser hagere 47-Jährige war Christopher King, von den zahlreichen Dienstahlsopfern der
Region seit langem als der eremit vom Lake Pond bezeichnet. Unglaubliche 27
Jahre hatte dieser Mann in den Wäldern verbracht. Unzählige Journalisten versuchten nun,
King zum Erzählen seiner rätselhaften Geschichte zu bewegen.
Erst Michael Finkel gelang es schließlich, Kings Vertrauen zu gewinnen, vielleicht wegen
einer gewissen Geistesverwandtschaft. Jedenfalls kam es nun zu insgesamt neun
einstündigen Besuchen des renommierten Journalisten im Gefängnis, wo King einige Monate
Haft wegen der weit über 1000 Einbrüche und Diebstähle absitzen musste. Die hatte er
begangen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen.
Herausgekommen ist dabei die spannend zu lesende Chronik Der Ruf der Stille.
Ganze 20 Jahre alt war King, als er 1986 einfach drauflos fuhr, ohne festen Plan oder
nennenswerte Vorbereitungen. Aus Massachusetts kommend ging es zunächst nach Florida,
dann kehrte er um und fuhr bis ins nordöstliche Maine. So lange hinein in die Wälder,
bis der Sprit zur Neige ging und die Wege unpassierbar wurden. Mit nichts als einem
Rucksack und einem Zelt ging er zu Fuß weiter und fand schließlich ein ideales Refugium.
Das Zelt, in dem er nun erstmals schlief, deckte er mit einer schwarzen Plane und
zusammengebundenen Zweigen zur Tarnung ab. Vor Entdeckung schützten außerdem große
Findlinge rund um sein Lager. 27 Jahre lang, mehr als bei jedem anderen freiwillig in die
Abgeschiedenheit verschwundenen Menschen, sollte dies nun sein Zuhause sein. Wo er nie ein
Feuer entfachte oder auf Jagd ging, um nicht entdeckt zu werden.
Und Diebstahlszüge verboten sich die langen Wintermonate über, denn die Spuren hätten
ihn verraten. Es waren eisige Winter, gegen die er nichts als mehrfach übereinander
gezogene Schlafsäcke hatte und weder gegen Hunger noch gegen Zahnschmerzen gab es Hilfe.
Dennoch war es sowohl seiner Disziplin wie auch seiner Konstitution zu verdanken, dass er
nie krank wurde.
Es war ein Leben in großer Stille, das er mit Lesen und Radiohören Bücher,
Gerät und Batterien geklaut verbrachte. Oder einfach mit Nichtstun, denn keine
Weltanschauung oder spirituelle Anwandlung hatte ihn hierher getrieben. Gefragt nach
seinen Empfindungen, erklärt er, dass Zeit und Raum bei seinem langen Alleinsein
verschwommen seien: Ich wurde bedeutungslos.
Was er aber nicht negativ meint, denn ebenso konstatiert der intelligente Eremit:
Ich war vollkommen frei. Autor Finkel beschreibt dazu auch andere berühmt
gewordene Totalaussteiger und ihre Motive. Bei Christopher King jedoch bleibt eine Aussage
ebenso erstaunlich wie verwirrend: Ich hatte keinen Plan, ich habe es einfach
getan. Fazit: ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Buch.
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