E. O. CHIROVICI: DAS BUCH DER
SPIEGEL
Ein nie aufgeklärter Mordfall, ein Sterbenskranker, der endlich die Wahrheit ans Licht
bringen will, und dazu eine Frau, die eine schillernde Rolle spielt - das scheint kein
sehr neuer Romanstoff. Was der in England lebende rumänische Erfolgsautor E.O. Chirovici
(sprich Kirowitsch) jedoch mit seinem Roman Das Buch der Spiegel daraus
gemacht hat, ist ein Meisterwerk mit viel Anklang an den legendären 'krimi noir'.
Das Buch der Spiegel lautet auch der Arbeitstitel des Manuskriptes, das dem
New Yorker Literaturagenten Peter Katz zugeht und ihn sofort fesselt. Richard Flynn
schreibt darin von den glücklichsten Wochen seines Lebens, die einsetzten, als die ebenso
attraktive wie blitzgescheite Laura Baines in seinen Studententagen seine neue
Wohngenossin wird und er sich Hals über Kopf in sie verliebt.
Als Ich-Erzähler berichtet er von jenen Monaten im Jahr 1987, die ihm neben Liebesglück
auch einen Job bei dem charismatischen Psychologie-Professor Joseph Wieder in dessen Haus
bescherten. Dazu kam er durch Laura, die die Lieblingsstudentin des Stars an der
Princeton-Universität war. Oder womöglich auch mehr? Zunehmend kommen Flynn Zweifel an
der Liebsten wie an den Motiven des manipulativen Psycho-Gurus, der offenbar geheime
Studien zur kosmetischen Chirurgie am Gedächtnis für einen ebenso geheimen
Auftraggeber betreibt und anscheinend zugleich an einem Buch arbeitet, das sein Opus
Magnus werden soll.
In einer Dezembernacht aber wird Wieder ermordet und Laura verschwindet spurlos. Was
damals nicht aufgeklärt werden konnte, will Flynn nun fast 30 Jahren später klarstellen.
Doch das Manuskript, das Katz vorliegt, ist unvollständig. Aber auch so gut geraten, dass
dieser ebenfalls als Ich-Erzähler den Autor kontaktieren und auch einen
Buchvertrag offerieren will. Doch Flynn liegt bereits wegen eines Krebsleidens im Sterben
und kann keine Auskünfte mehr geben.
Weshalb Katz nun seinen Freund John Keller, einen derzeit arbeitslosen Zeitungsreporter
mit Nachforschungen beauftragt. Womit Teil 3 des Romans als nunmehr intensive und sehr
spannende Journalisten-Recherche einsetzt. Die verblüffende neue Perspektiven offenbart,
bei denen nicht nur die schließlich unter neuem Namen entdeckte Laura, inzwischen selbst
Psychologie-Professorin, gänzlich abweichende Versionen ihrer Beziehung zu Flynn wie auch
zu Wieder schildert. Verwirrend anders stellen sich auch die Äußerungen von Derek
Simmons dar. Er arbeitete für Wieder als eine Art Faktotum, nachdem dieser ihn einst als
Gutachter nach dem Tod der Ehefrau aus einer Mordanklage herausgepaukt hatte.
Je mehr Details des komplexen Geschehens zutage treten, desto verwirrender wird die
Geschichte. Die hat den Leser längst in ihren Bann geschlagen und das insbesondere auch
durch die raffinierte Dramaturgie mit insgesamt vier Ich-Erzählern, so dass jedes neue
Bild wie die Splitter eines zerborstenen Spiegels die Wahrheit wie auch ihre individuellen
Verfälschungen in der Erinnerung zeigt.
War Laura eine kalte Intrigantin oder gar so rachsüchtig, wie ihre damalige Kommilitonin
Sarah sie beschreibt? Und nachdem der fehlende Teil von Flynns Manuskript unauffindbar
erscheint welche Rolle spielt das mutmaßliche letzte große Buchprojekt des
Professors im gesamten Gefüge? Immer neue Wahrheiten und Versionen erscheinen und
schüren eine faszinierende Rätselhaftigkeit, der sich schließlich mit Roy Freeman der
gescheiterte Ermittler von 1987 widmet.
Nach Kellers Interview treibt ihn der Gedanke um, damals entscheidende Fehler gemacht zu
haben. Mehr aber sei von diesem großartigen Werk gekonnt verwinkelter Spannungsliteratur
für anspruchsvolle Leser nicht verraten. Ist alles Vergangene auch wirklich so geschehen,
wie es die Erinnerungen glauben machen?! Diese Grundfrage hat Eugene O. Chirovici so
fesselnd in den Mittelpunkt gestellt, dass am Ende nur noch ein Wunsch offen bleibt
der nach einer angemessenen Verfilmung.
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