CAROLINA de ROBERTIS: „DIE TANGOSPIELERIN“


Als die 17-jährige Leda am 4. Februar 1913 mit dem Auswandererschiff aus Italien in Buenos Aires ankommt, ist sie voller Vorfreude auf das neue Leben. Doch statt von ihrem per Ferntrauung geheirateten Cousin Dante empfangen zu werden, der schon seit längerem versucht hat, hier eine Existenz aufzubauen, erfährt Leda von einem Arbeitskollegen, dass ihr Mann kürzlich bei einem Streik getötet wurde.
Mit diesem Schockerlebnis beginnt Carolina de Robertis ihren dritten Roman „Die Tangospielerin“ und die Erfolgsautorin, die selbst einer uruguayischen Familie entstammt, setzt dabei erneut auf ein lateinamerikanisches Thema. Mit der großgewachsenen, recht knabenhaften Leda stellt sie dabei eine einzigartige Protagonistin in den Mittelpunkt.
Die steht nun erst mal mit nichts als dem Koffer mit der Kleidung ihres Mannes und der vom Vater als einziges Erbstück mitgegebenen Geige da. Im Armenviertel hausend, nährt sie sich vorerst mehr schlecht als recht mit Näharbeiten. Doch sie hört etwas, das seit Jahren die Menschen aufwühlt und begeistert, obwohl es die katholische Kirche als unmoralisch und heidnisch geächtet hat: den Tango. Auch Leda ist fasziniert und beginnt heimlich, all die feurigen, dunkel-leidenschaftlichen Stücke auf der Geige einzuüben.
Und weil ihr das wegen des großen, offenbar vom Vater geerbten Talentes immer besser gelingt, träumt sie von einer Karriere als Tangomusikerin. Ein unmöglicher Traum, denn der Tango ist wie so vieles in jenen Zeiten absolut Männern vorbehalten. Doch Leda fasst einen tollkühnen Entschluss: sie kleidet sich mit Dantes Anzug als Mann, gibt sich einen Herrenhaarschnitt und übt eine tiefere Stimme ein.
Tatsächlich gelingt ihr der Einstieg in die Szene dank des afro-argentinischen Musikers Santiago, mit dessen „Orquestra Torres“ sie erste Auftritte in den ärmeren Vierteln feiert. Allmählich gelingt dem Ensemble sogar der Aufstieg in feinere Viertel, bis sie den Einzug als Hauskapelle im angesehenen „Cabaret Leteo“ schaffen.
Leda aber, die sich nun konsequent Dante di Bocca nennt, muss ständig auf der Hut sein, um nicht aufzufliegen, denn eine Entdeckung würde unweigerlich zur Katastrophe führen. Doch so gut sie auch männliches Gebaren einstudiert hat, nun kommen noch die Wirren der Liebe hinzu.
Als sie sich in die junge Alma verliebt, gelingt es ihr wahrhaftig, der Unerfahrenen Liebesfreuden zu schenken, ohne dass die Dantes wahres Geschlecht erkennt. „Alma unter Dantes Händen“ heißt es da und nicht erst diese Passagen sind von lasziver Erotik geprägt. Schon die Lehrstunden, die Dante bei der Hure Mamita nimmt, um all die Geheimnisse zu erlernen, mit denen man Frauen bis zur Exstase betören kann, sind schlichtweg von hinreißender Sinnlichkeit.
Die undankbare Alma düpiert Dante allerdings schließlich mit der unfassbaren Mitteilung, sie sei schwanger. Der Trennung folgt für die Treulose der soziale Abstieg, Dante dagegen gerät in eine heißblütige Affäre mit der attraktiven Witwe Carmen, der Chefin des „Cabaret Leteo“. Über vier Jahre zieht sich diese von intensiver Erotik geprägte Beziehung hin, in der es Dante mit raffinierten Tricks immer wieder schafft, ihr/sein Auffliegen zu verhindern und zugleich der Geliebten höchste Sinnesfreuden zu bereiten.
Zugute kommt ihm dabei durchaus das Fehlen jeglicher Gleichberechtigung gepaart mit lateinamerikanischem Machismo. Doch genau das führt aber auch zur stets befürchteten Katastrophe. Die naht in Gestalt von Rosa Vidal und die stellt einen weiteren unerhörten, diesmal jedoch offen zelebrierten Verstoß gegen alle Sitten dar: da sie als Frau nicht den Tango singen darf, trägt sie ihn als Mann verkleidet vor.
Trotz allen Jubels kommt es zum folgenreichen Eklat, denn es knirscht nicht nur zwischen Carmen und Dante, dieser entdeckt in Rosa auch die große Liebe in diesem erneuten Spiel mit den Geschlechtern. Mehr aber sei von diesem bis zuletzt ebenso bewegenden wie fesselnden Roman nicht verraten.
Der begeistert auf mitreißende Weise mit seinen exzellent gezeichneten Charakteren wie auch mit der Intensität seiner Gefühle und man spürt hinter all dem im besten Sinne, dass Carolina de Robertis nicht nur als Frauenrechtlerin bekannt ist, sondern auch selbst mit einer Frau zusammenlebt.

# Carolina de Robertis: Die Tangospielerin (aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel); 456 Seiten; Krüger Verlag, Frankfurt; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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