MARIO VARGAS LLOSA: DIE
ENTHÜLLUNG
Der jüngste Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa beginnt
mit einer erotisch knisternden Szene, als die Anwaltsgattin Chabela bei ihrer besten
Freundin Marisa übernachtet. Die in Perus Hauptstadt Lima geltende nächtliche
Ausgangssperre in den späten 90er Jahren machte dies nötig und führt nun zu einer
überraschenden intimen Annäherung.
Marias Ehemann Enrique, allgemein Quique genannt, hat wegen eines sexuellen Ausrutschers
jedoch gerade jetzt ein massives Problem. Rolando Garro, schmieriger Chefredakteur des
noch schmierigeren kleinen Boulevardblattes Enthüllt präsentiert dem
ehrbaren Minenbesitzer sehr einschlägige Fotos: der Unternehmer nackt und in
verfänglichen Stellungen inmitten einer Sexorgie. Allerdings sind die Bilder
erstaunlicherweise bereits zwei Jahre alt und Garro verlangt auch keine große Summe
dafür sondern etwas viel Lukrativeres.
Womit Die Enthüllung alsbald zum Politthriller wird, für den die intimen
Eskapaden von Marisa und Chabela mit ihrem lasziven Plauderton eine etwas ungewöhnliche
Rahmenhandlung spielen. Der widerwärtige Garro aber, der mit seinem Blatt nur durch
reißerische Schmutzgeschichten lebt, stellt eine frappierende Forderung an Quique: der
soll Geld in das Magazin stecken und es mit seinem angesehen Namen in der
Geschäftsführung gewissermaßen adeln.
Als der das brüsk abweist, erscheint anderntags tatsächlich ein ebenso spektakulärer
wie vulgärer Skandalbericht, der riesiges Aufsehen erzeugt. Da grollt dann nicht nur
Marisa als die berühmteste betrogene Ehefrau Perus, denn für ihren Gatten
kommt es noch schlimmer. Am nächsten Tag gilt Garro als vermisst und schließlich führt
man seine skrupellose Skandalreporterin Pummel Julieta ins Leichenschauhaus,
wo sie die zerschundene Leiche ihres Chefs identifizieren muss.
Kaum hat Quiques bester Freund, der Anwalt Luciano im Übrigen Ehemann Chabelas
ihn auf die drohenden Ermittlungen eingestimmt, wird er auch schon als
Hauptverdächtiger verhaftet. Allein die Schilderung der einen Nacht des vornehmen
Unternehmers in einer überbelegten Zelle mit ihren dumpfen Sexbedrohungen sind schon ein
literarischer Höhepunkt dieses an Wendungen und eleganten dramaturgischen Kniffen reichen
Romans.
Hinzu kommt nun ein zweiter Verdächtiger, der später auf zynische Art und Weise
wenngleich durchaus nicht zu seinen Ungunsten zum Täter erkoren wird. Diesem alten
hinfälligen Juan Peinata hatte Garro einst für seine Machenschaften missbraucht. Erst
lockte er den angesehenen Rezitator als unsägliche aber gut entlohnte Clownsnummer ins
Fernsehen, um ihn dann in Enthüllt niederzuschreiben. Wodurch er nicht nur
seine Existenz sondern auch noch seine schwerkranke Frau verlor.
In der verwaisten Magazin-Redaktion aber herrscht blanke Angst, als Pummel entdeckt, dass
der sagenumwitterte Doktor hinter den Machenschaften steckt, der -
historisch reale Geheimdienstchef Montesinos. Er ist der heimliche Machtinhaber im
autokratischen Fujimori-Regime, das mit Folter und Gewalt herrscht und auf seine Weise
nicht weniger übel ist als die Terrorbanden von Leuchtender Pfad und
Tupac Amaru, die in diesen Jahren ihr blutrünstiges Unwesen treiben.
Und damit wird der hochspannende Roman endgültig zur Abrechnung des Autors (der 1990
bekanntlich Fujimori als Präsidentschaftsbewerber unterlag!) mit dem Regime. War es
historisch ein Video, das die Machthaber stürzte, ist es hier ein verwegener Akt von
Pummel. Die lässt sich vom Doktor, der die Schmutzpresse für seine Kampagnen gegen
Oppositionelle instrumentalisiert, als Chefin von Enthüllt einspannen und
wagt es, alles in einem Handstreich auffliegen zu lassen.
Der Kreis schließt sich allerdings nicht nur mit diesen fatalen Enthüllungen, denn
Vargas Llosa gönnt seinem schwer gebeutelten Quique einen Balsamtropfen der Erholung,
wenn er ihm einen ganz speziellen Traum mit den verliebten Frauen im fernen Miamai
erfüllt. Wer sich dann wundert über solch meisterhafte erotische Szenen aus der Feder
eines mittlerweile 80-Jährigen: er ist immerhin seit über einem Jahr mit einer deutlich
jüngeren ehemaligen Schönheitskönigin (und Ex-Partnerin von Julio Iglesi- as!) liiert.
Doch auch der Roman als Ganzes zeigt ihn mit gewohnter Sprachgewalt, starken
Charakterzeichnungen und subtilem Witz. Wobei ihm vor dem Finale noch ein literarischer
Geniestreich gelingt, wenn er mehrere Handlungsstränge einschließlich eines mit höchst
sinnlicher Erotik flirrend ineinanderwebt. Ein Meisterwerk? Zumindest ein bis zuletzt
fesselndes großartiges Alterswerk.
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