AMY SACKVILLE: REISE NACH
ORKNEY
Flitterwochen auf einer sturmumtosten Insel des Orkney-Archipels nordöstlich von
Schottland das klingt arg nach Kitsch. Doch die Autorin heißt Amy Sackville und
sie stellt auch mit ihrem zweiten Roman unter Beweis, welch großartige Literatin sie ist.
Reise nach Orkney lautet der Titel und diese Reise unternehmen der
Literaturprofessor Richard und seine frisch Angetraute ausgerechnet jetzt im rauen Oktober
dorthin, weil die feenhafte Frau eben hier geboren wurde. Ohnehin sind die Beiden ein
ungewöhnliches, eher unwahrscheinliches Ehepaar. Er, der ewige nörglerische Junggeselle,
ist bereits 61, während seine Lieblingsstudentin deren Name übrigen nie genannt
wird ganze 40 Jahre jünger ist.
Heftig hatten sie sich ineinander verliebt und dann schnell geheiratet, doch bei aller
Intensität dieser Beziehung weiß er wenig über dieses seltsame Wesen mit den langen
silbrigen Haaren und der exzentrischen Art sich zu kleiden und ihre Vergangenheit bleibt
im Ungewissen. Viel passiert nicht an Handlung in den zwei Wochen, die sie nun in der
gemütlichen Hütte in der Bucht der fast menschenleeren Insel verbringen. Dennoch
entsteht nach und nach eine subtile Sogwirkung, weil die Stimmung sich allmählich
verändert.
Während er tagsüber an einem Buch über Hexen und Nixen des 19. Jahrhunderts arbeitet,
verweilt sie stundenlang am Strand und wird nicht müde, aufs Meer hinaus zu starren. Nur
in Andeutungen erfährt der Leser, dass ihr Vater offenbar einst hier irgendwo im Meer
verschwand. Richard aber, der viel mehr Zeit damit verbringt, sie vom Fenster aus zu
beobachten als zu schreiben, spürt wie sie ihm irgendwie zu entgleiten scheint.
Hat er sie zunächst noch nach ihren Alpträumen getröstet, suchen ihn solche selbst bald
heim. Und der Besitzergreifende versucht um so mehr, sie ganz fest an sich zu binden, zu
fesseln, je mehr sie zum schwindenden Rätsel wird. Doch seine Ängste wachsen nicht nur,
denn je mehr er den Sog ahnt, den das Meer auf sie ausübt, desto greifbarer wird seine
hilflose Angst. Bis sie sich schließlich erfüllt.
Bis zuletzt fesselt dieses subtile Geschehen, umrahmt von hinreißenden bildhaften
Beschreibungen der seltsam entrückten Natur und ihres Tobens. Den eigentlichen Zauber
aber legt diese dunkel-poetische Atmosphäre über dieses moderne Liebesmärchen, der dank
einer großartigen Übertragung auch den deutschsprachigen Lesern zuteil wird.
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