LOUISA YOUNG: ALLES, WORAUF
WIR HOFFTEN
In ihrem großartigen Antikriegsroman Eins wollt ich dir noch sagen hatte die
britische Autorin Louisa Young zwei junge Frontsoldaten und ihre jeweiligen Partnerinnen
in der Heimat in den Mittelpunkt gestellt.
Während Major Peter Locke immer mehr darunter leidet, wie seine Männer reihenweise im
sinnlosen Gemetzel des Stellungskrieges auf den französischen Schlachtfeldern untergehen,
trifft es den jungen Captain Riley Purefoy aus seiner Truppe besonders hart, denn ihm wird
ein Teil des Unterkiefers weggeschossen. In zahllosen komlizierten Operationen gelingt es
dem genialen Militärarzt Harold Gillies im Queen's Hospital im englischen Sidcup
beides historische Institutionen Riley wieder ein lebensfähiges Gesicht zu geben.
Den so typischen millionenfachen Zerstörungen an Leib und Seele und der Mühe, wie
Betroffene und Angehörige damit umzugehen lernen müssen, gibt Louisa Young mit ihrem
zweiten Roman Alles worauf wir hofften erneut eine Bühne. Er setzt im März
1919 ein und Riley, inzwischen wie seine Verlobte Nadine 23 Jahre alt, wurde aus dem
Hospital entlassen. Seit Kindesbeinen an kennen sie sich und nach den verzweifelten Phasen
in den letzten Kriegsmonaten gehen sie nun ganz für sich allein den Schritt in die Ehe.
Schon hierbei wird der Leser mit dem Kampf des trotz aller medizinischen Erfolge immer
noch stark Entstellten um Normalität konfrontiert. Er kann nur undeutlich sprechen, tut
sich schwer mit dem Essen und dem Trinken. Da verletzen unhöfliche Reaktionen oder das
Glotzen Fremder und jede normale Konversation ist schwierig bis unmöglich. Noch mehr
schmerzt jedoch der private Rückfall in eine Art bitterer Keuschheit, denn auch die Braut
zu küssen ist praktisch nicht umzusetzen.
Entsprechend hilflos, ratlos, wortlos verläuft ihre Hochzeitsnacht. Der auch noch die
Demütigung durch Nadines Eltern aus dem klassenbewussten Großbürgertum folgt, die sich
nicht nur über die heimliche Eheschließung empören sondern Riley schon deshalb
ablehnen, weil er aus einfachen Kreisen stammt und nun obendrein entstellt und ohne Job
daherkommt.
Dabei hatte Premierminister David Lloyd George nach dem Krieg öffentlich erklärt, man
wolle alles für die heimgekehrten Kriegshelden tun. Tatsache waren jedoch unzählige
Arbeitslose, Obdachlose und Entwurzelte unter den Heimkehrern. Hinzu kamen die vielen
jungen Männer, die in der Blüte ihres Lebens schwere und oft dauerhafte Schäden an
ihrer Gesundheit erlitten hatten.
Dazu zählte auch Rileys Kommandeur Major Locke. Zwar lebt er in komfortablen
gesellschaftlichen Verhältnissen, doch seelisch findet er nicht zurück ins normale
Leben, ist zutiefst gestört. Und ausgerechnet er hat mit Julia eine höchst
unausgeglichene Frau an seiner Seite, die selbst ein Fall für den Psychiater wäre. Ihnen
allen gemeinsam aber ist ein Phänomen Krieg ist kein Thema für Worte:
Niemand wollte an irgendetwas erinnern. Als ob irgendwer vergessen hätte.
Die Autorin zeichnet für ihre Protagonisten exemplarische Wege, wie sie ähnlich der
Millionen anderer Kriegsbeschädigter Jahre bis in eine Art neuer Normalität brauchten.
Und sie vergisst auch nicht die Traumata jener daheim und das alles in einem Land, das den
Krieg immerhin gewonnen hatte. Bei all dem schafft sie emotionale Tiefgänge, ohne ihre
bestens ins Deutsche übertragene ebenso stilvolle wie intelligente Prosa zu
überfrachten. Eine besondere Stärke ist im Übrigen das glänzend eingebaute Zeit- und
Lokalkolorit
Fazit: es gibt nicht viele Autoren, die glaubhaft und ohne Pathos einen großen,
universellen Antikriegsroman zu schreiben vermögen, Louisa Young ist dies nun gleich zum
zweiten Mal gelungen.
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