PETER FINN/PETRA COUVÉE: DIE
AFFÄRE SCHIWAGO
Doktor Schiwago war Mitte der 60er Jahre einer der größten Filmerfolge und
heimste zu Recht fünf Oscars ein. Noch dramatischer aber liest sich jetzt die Geschichte
darüber, wie der zugrunde liegende Roman von Boris Pasternak überhaupt seinen globalen
Siegeszug machen konnte.
Peter Finn und Petra Couvée haben dazu intensiv recherchiert und daraus den
Tatsachenthriller Die Affäre Schiwago verfasst. Den Hinweis auf die
hochspannenden Ränkespiele dieser Propagandaschlacht in der Hochzeit des Kalten Krieges
gibt bereits der Untertitel Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes
Buch. Der US-Amerikaner Finn leitete eine Zeitlang das Moskauer Büro der
Washington Post und die niederländische Publizistin und Übersetzerin Couvée
lehrt als Dozentin an der Universität von Sankt Petersburg.
Die entscheidende Grundlage für ihre Arbeit erhielten die Autoren in Form von rund 135
Dokumenten, die die CIA auf Antrag aus ihren Archiven freigab. Sie bestätigten vor allem
die alten Gerüchte, wie direkt der US-Geheimdienst versuchte, auch Bücher als
ideologische Waffen gegenüber den kommunistischen Ländern zur Wirkung zu bringen. Wie
sehr die Sowjetherrscher wiederum selbst gleichfalls an die Macht der Literatur glaubten
und den CIA-Aktionen in Sachen Doiktor Schiwago dadurch erst den Sinn
gaben zeigt in einzigartiger Weise dieses herausragende Beispiel.
Boris Pasternak (1890-1960) zählte zu den angesehensten Dichtern der Sowjetunion, er hate
sogar die stalinistischen Säuberungen überstanden und lebte mit Familie und Geliebter in
der Künstlerkolonie Peredelkino außerhalb Moskaus. Nach zehnjähriger Arbeit hatte er
nun seinen einzigen Roman abgeschlossen und wollte ihn veröffentlichen lassen. Damit
stieß er jedoch sofort auf scharfe Ablehnung und es war klar, dass das Buch nie
erscheinen würde.
Diese Titelfigur des Arztes Schiwago war für die kommunistischen Apologeten einfach eine
Unverschämtheit. Individualismus, Recht auf Privatleben und dann noch diese Kritik am
Blutvergießen während der Revolution bis hin zu der Schmähung der Revolutionäre als
fanatische Sektierer - und dieser 433 Seiten lange Roman machte keinen Hehl
daraus, dass seine zentrale Figur keine Hoffnung in das kommunistische System setzte.
Das vernichtende Urteil der Staatsbehörden war einschlägig und das reichte bis hin zur
Drohung, den sehr heimatverbundenen Autor auszuweisen. Doch dann kam es zu einer
folgenreichen Begegnung mit einem italienischen Literaturagenten, der für den
linksorientierten Verleger Feltrinelli nach russischen Manuskripten suchte. Als Pasternak
ihm im Mai 1956 das in alte Zeitungen verpackte Paket übergab, ahnte er nur ansatzweise,
wie sehr seine Befürchtungen schlimmer Sanktionen sich erfüllen sollten. Der Roman wurde
1957 sogleich ein großer Erfolg auf Italienisch und bald auch in anderen westlichen
Sprachen. Eine russische Ausgabe allerdings fehlte bis die CIA mitten im Ringen um
die weltanschauliche Meinungsführerschaft ihre Chance in diesem Buch als ideologisches
Gift erkannte.
Auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel wurden die ersten 365 Exemplare des Doktor
Schiwago auf Russisch verteilt. Das geschah unter anderem sehr konspirativ
ausgerechnet im Pavillon des Vatikan. 1959 wurden sogar 9000 Exemplare im leichter zu
schmuggelnden Format als Taschenbuch bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten für
Frieden und Freundschaft in Wien verteilt.
Für Boris Pasternak aber brach die Hölle bereits 1958 los mit Hass- und
Schmähkampagnen, die ihn fast in den Selbstmord trieben. Und sich noch steigerten, als
ihm im Herbst des Jahres auch noch der Literatur-Nobelpreis zuerkannt wurde. Dass er den
umgehend ablehnte, geschah aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Dieses heftige Ringen wie
auch die schlimmen letzten Lebensjahre Pasternaks werden hier ebenso detailliert wie
bewegend beschrieben. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Staatschef Nikita
Chrustschow bereits aufs Altenteil abgeschoben worden war, als er 1964 das Buch erstmals
las. Und befand: Wir hätten es nicht verbieten sollen. Es gibt nichts
Antisowjetisches darin.
Fazit: ein exzellentes Sachbuch über die wohl größte Buch-Affäre der jüngeren
Vergangenheit, ähnlich dramatisch und spannend wie der große Roman selbst.
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