BENEDICT WELLS: VOM ENDE DER
EINSAMKEIT
Jules erwacht in einem Krankenhaus, hatte offenbar einen etwas mysteriösen
Motorradunfall. Nun versucht er sich zu erinnern, was wohl passiert sein mag. Mühsam
führt es den etwa 42-Jährigen in eine verschüttet geglaubte Vergangenheit mit einer
Katastrophe, wie sie für Kinder schlimmer nicht denkbar ist: dem plötzlichen Tod der
Eltern.
Diese Suche nach den eigenen Spuren wird für Ich-Erzähler Jules ein langer Weg, den der
gefeierte junge Autor Benedict Wells unter dem Titel Vom Ende der Einsamkeit
ebenso souverän wie sprachmächtig seinen Helden begehen lässt. In Etappen eröffnen
sich dem verwitweten Vater von Zwillingen die schmerzlichen Ereignisse, die nicht nur sein
Leben schicksalhaft in andere Bahnen lenkte.
Er war sieben, als die Familie unterwegs war zur Großmutter in Südfrankreich. Der
plötzliche Unfalltod der Eltern riss den bis dahin so munteren und selbstbewussten Jungen
ebenso aus einer glücklichen Kindheit wie seine Schwester Liz und seinen Bruder Marty,
beide älter als er. Die Vereinsamung, die nun folgte, war eine schwere, denn die Kinder
kamen zwar gemeinsam in ein wenig liebesvolles Internat. Auf verschiedene Klassen und
Wohnebenen aufgeteilt, werden sie einander jedoch bald ganz und gar fremd und verlieren
sich sogar weitgehend aus den Augen.
Die vielen Ängste, die der bindungsunfähige Jules entwickelt, kann er selbst erst viel
später einordnen. Im Internat gibt es schließlich nur eine gewisse Konstante für den
zum verträumten Sonderling gewordenen Jungen, das ist die neue Klassenkameradin Alva. Das
Mädchen mit den kupferroten Haaren ist eine Seelenverwandte ebenfalls mit Bürden aus der
Vergangenheit, die auch sie nicht zu kommunizieren vermag.
Alva wird zur Liebe seines Lebens, doch diese komplizierte Liebesgeschichte geht
verschlungene Umwege und hat ihre dramatischen Momente, denn die Beiden kommen erst viele
Jahre nach der Schule für ein zeitlich begrenztes Glück zusammen. Doch auch die
ungebärdige Schwester Liz und der vermeintlich so gefestigte Marty schlingern mit der
Bürde ihrer Kindheit durchs Leben.
Benedict Wells erzeugt trotz eines eher ruhigen Erzählflusses eine stete subtile
Spannung. Dabei besticht dieser bewegende Entwicklungsroman mit feinfühligem Gespür für
seine Figuren und einer dezenten, klaren Prosa. Fazit: eine großartige Geschichte von
Liebe und Einsamkeit und wie man sie überwinden kann.
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