HAJO STEINERT: „DER LIEBESIDIOT“


Hajo Steinert traut sich was: er ist Chef des Deutschlandfunks und einer der renommiertesten Literaturkritiker des Landes und nun legt er seinen Debütroman vor. Unter Echtnamen. Und es sei vorweg gesagt - „Der Liebesidiot“ bietet beachtliches Format und ganz viel intelligentes Lesevergnügen.
Ich-Erzähler ist Sigmund Seiler, Endfünfziger und als professioneller Sprecher im MediaCenter ein Mann der Sprache, die er in ihren Feinheiten zu genießen weiß. So nimmt es nicht wunder, dass er eines Tages wie vom Blitz getroffen in der Kantine erstarrt, als vor ihm eine junge Frau eine simple Bestellung aufgibt: „Gyros mit Pommes frites und Krautsalat, bitte. Ohne Zaziki.“ Doch wie sie das sagt und mit welchem Sprachbewusstsein das geschieht und dann diese äußere Erscheinung...
Mit seinem Sinn für das Schöne im Allgemeinen und in Bezug auf die holde Weiblichkeit im Besonderen erglüht Sigmund sogleich zum tragischen Gockel, gibt ihr für sich den Namen Simonetta. Aber er ist ja nicht nur ein hoffnungsloser Romantiker mit einer Ehe, die offenbar durch die Kühle der Gattin gescheitert ist, zugleich dreht sich in seinem Denken ja auch unablässig ganz, ganz viel ums Erotische bis hin zum täglichen Besuch einer Online-Pornoseite mit seiner osteuropäischen Lieblingsdarstellerin.
Was nun abgeht, muss geradezu zwingend schieflaufen, denn an sich ist Sigmund vielmehr Voyeur als „Frauenaufreißer“. Was beim Nachsteigen hinter der Angebeteten prompt – und nicht zuletzt auf Grund natürlicher altersbedingter Verschleißerscheinungen – zu einer mittleren Katastrophe führt. Und genau die raffiniert angeordnete Rahmenhandlung ermöglicht, in der Sigmund nun sein beachtliches Talent als seidenweich intonierender Sprecher in der Rehaklinik allabendliche Lesungen gibt.
Darin schwärmt er dann zwar von Simonetta bis in kleinste Details, die auch Art und Form von Dessous oder sich andeutende Körperformen umfassen. Noch herlilicher aber gestalten sich all die Abschweifungen vor allem in die Jahre des pubertären und auch späteren Experimentierens. Ob die zaghaften und eher unbeholfenen ersten Gehversuche mit Bärbel, Ulrike und anderen Mädels in den 60er Jahren, ob die gehemmt wirkenden Betterlebnisse mit Ehefrau Margot – das ist alles ziemlich körperlich und doch voller Ahnung, dass Sigmund kein wirklicher Schwerenöter war und ist, sondern ein nach Liebe Suchender.
Hajo Steinert macht aus all dem eine außerordentlich authentische Tragikomödie. Es passiert gar nichzt viel und fesselt dennoch, auch weil die Prosa stilvoll funkelnden Genuss bietet und der gesamte Roman in sich stimmig wirkt. Fazit: für männliche Leser vermutlich viel Wiedererkennungswert zum Schmunzeln, für Frauen jeden Alters die Chance, allerhand vom doch recht typischen Innenleben zu erfahren, dass „mann“ so umtreibt.

# Hajo Steinert: Der Liebesidiot; 285 Seiten; Knaus Verlag, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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