RACHEL KUSHNER: „FLAMMENWERFER“


Nach „Telex to Cuba“ wurde nun auch Rachel Kushners zweiter Roman „Flammenwerfer“ für den National Book Award nominiert und die 46-Jährige gilt in den USA bereits als Ausnahmetalent. Dabei durchrast die Autorin mit Ich-Erzählerin Reno einen wilden Kosmos vor ihrer Zeit, das aber dank intensiver Recherchen und viel Gespür für Grundströmungen mit hoher Authentizität.
Nach einem etwas verstörenden kurzen Einstieg mit einer Szene aus dem Ersten Weltkrieg gehört die Bühne der 23-jährigen Reno. Ihr richtiger Name bleibt ungenannt, diesen dagegen erhält sie von ihren New Yorker Künstlerfreunden, weil sie in Reno. Nevada, geboren wurde. Von dort rast sie eingangs zur legendären Salzrennbahn Bonneville in Utah, um mit ihrer geliebten „Moto Valera“ über die Piste zu jagen. Fotos von den Spuren sollen der Kunststudentin fürs Examen dienen.
Ein Sturz bei 240 km/h zerschmettert glücklicherweise nur das Motorrad, ein Geschenk ihres Liebhabers, dem New Yorker Künstler Sandro Valera. Der wiederum ist ein ausgestiegener Erbe aus den gleichnamigen Mailänder Reifen- und Motorradkonzern. Der 14 Jahre ältere Minimal-Art-Guru hatte sich das attraktive Mädchen aus der Provinz mit der unkomplizierten Dynamik als schmückendes Beiwerk an seine Seite geholt.
Man schreibt das Jahr 1975, New York City steckt in einem Teufelskreis des Niedergangs, im Stadtteil SoHo jedoch flirrt die Künstlerszene ebenso wie die Reste der 60er-Jahre Revoluzzer. „Against the Wall Motherfuckers“ wie Straßenkämpfer-Held Burdmoore spielen da ebenso illustre Rollen wie Möchtegernkünstler aus dem Umfeld von Andy Warhols „Factory“.
Reno mittendrin mit dem betuchten Sandro verdient sich gleichwohl ihren Unterhalt als „China Girl“, indem sie ihr Gesicht für eine Farbskala in die Kamera hält. Niemand bekommt diese Bilder wirklich zu sehen, denn sie dienen im Film in diesen analogen Zeiten lediglich zur Justierung auf natürliche Gesichtsfarben. Bei all dem geradezu anarchischen Miteinander überrascht, wie wenig die vermeintlich doch seit den 60er-Jahre Aufbruchzeiten allseits befreiten Frauenrolle offenbar durchgeschlagen hat.
Die wüste und zugleich virtuos gelungene Mischung aus Wildheit, brillanten Dialogen und spannenden intellektuellen Auseinandersetzungen zwischen all den Maulhelden, Machos und Exzentrikern erfährt jedoch schließlich einen verwegenen Schwenk, als Reno ihrem Sandro nach all den hochgeschwindigkeitsgeprägten Abenteuertagen und durchquasselten Kunstszenenächten in dessen Heimat folgt. Hier feiern die Roten Brigaden ihre Hochzeiten und auch der Valera-Clan rückt in ihren Fokus. Es gibt Streiks, Sandros Bruder, der Konzern-Chef, wird entführt, und als Reno sich nach Rom absetzt, weil Sandro sie betrügt, gerät sie dort unwissentlich selbst ins Fahrwasser terroristischer Umtriebe.
Dieser von viel Farbe und Bewegung durchsetzte Roman mit seinen vielen Geschichten in der einen großen glänzt durch eine stilsichere souveräne Prosa. Dass dieses starke Porträt einer adrenalinbeschleunigten Ära auch auf Deutsch mit einer ebenso klaren wie zuweilen herb poetischen Diktion funkelt und fesselt, verdankt „Flammenwerfer“ im Übrigen der großartigen Übertragung durch Bettina Abarbanell.

# Rachel Kushner: Flammenwerfer (aus dem Amerikanischen von Bettina Ababrbanell); 559 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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