MICHAEL DEGEN: „DER TRAURIGE PRINZ“


Michael Degen gehört seit Jahrzehnten zu den größten deutschsprachigen Theater- und Fernsehschauspielern, hat aber auch einige vielgerühmte und erfolgreiche Bücher verfasst. Sein jüngstes Werk ist soeben unter dem Titel „Der traurige Prinz“ erschienen und auf das Besondere daran weist der Untertitel hin: „Roman einer wahren Begegnung“.
Diese hat 1983 wirklich stattgefunden, als Degen in Vaduz in Ingmar Bergmans Strindberg-Inszenierung von „Fräulein Julie“ mitspielte und ihn eines Abends nach der Vorstellung ein weltberühmter Kollege ansprach und auf seinen nahen Wohnsitz einlud – kein Geringerer als Oskar Werner (1922-1984). Es wird eine sehr lange Nacht mit Unmengen Fernet Branca für den alkoholsüchtigen Gastgeber und etlichen Flaschen Grüner Veltliner für den damals 51-jährigen Gast.
Sie sind sich nie zuvor begegnet, dennoch öffnet sich der gealterte Mime seinem zehn Jahre jüngeren Bewunderer bis hin zu geradezu peinlichen Innenansichten. Zunächst aber ist Degen einfach nur fasziniert von den endlosen Monologen mit dieser so poetisch-brüchigen, unverwechselbaren Stimme, die schmeicheln, klagen aber auch unversehens heftig aufbrausen kann. Wie dieser Oskar Josef Bschließmeyer – so sein bürgerlicher Name – aus einfachsten Wiener Verhältnissen sehr früh den Weg zum berühmten Burgtheater fand, sein lebenslanges Leiden unter der schwierigen Mutter – deren ersten Suizidversuch er mit acht Jahren erlebt – aber auch die Nazi-Jahre und die lebenslangen Selbstzweifel, nichts lässt der zart gebaute Mime aus.
Stundenlang erzählt, raunt, ätzt das längst ramponierte Schauspiel-Genie, vergrellt den eher selten zu Wort kommenden Zuhörer zuweilen hemmungslos. Um ihn schonungslos in der nächtlichen Abgeschiedenheit des Hauses gefangen zu halten bei immer neuen Weinflaschen und sogar selbstgebrutzeltem Essen. Ein ganzes von höchsten Höhen bis hin zum Jahrhundert-Don Carlos und einer Oscar-Nominierung („Das Narrenschiff“) wie auch von tiefsten Zweifeln, Hadern und Widersprüchen geprägtes Leben wird intensiv und schonungslos gegen sich selbst ausgebreitet.
Allmählich möchte sich der geduldige höfliche Gast genervt entfernen, denn gar zu selbstquälerisch werden die düsteren Blicke in die Abgründe dieser Künstlerseele, die sich selbst als gescheitert sieht. Und doch ist dieser gebrochene Dänen-Prinz auch ein Naiver und Narziss noch im Scheitern und der Selbstbezichtigung. Oskar Werner, ein Sensibler von lodernder Intensität, der seit Jahrzehnten nur noch durch unmäßigen Alkoholgenuss eine Art Gleichmütigkeit zu erlangen vermag.
Michael Degen hat gut daran getan, aus dieser ja nur gut erinnerten Nacht des ziemlich einseitigen Dialogs einen Roman und nicht eine Art Tatsachenbericht zu machen. Man darf ihm jedoch glauben, dass all dies so oder sehr ähnlich gesagt wurde. Entstanden ist dabei eine großartige Hommage an diesen einzigartigen Künstler, bei der man zugleich zahlreiche wunderbare wahre Geschichten über legendäre Theatergrößen wie Werner Krauß oder Gustav Gründgens aber auch Feinheiten aus Werners Filmschaffen erfährt.
Fazit: eine elegant zu lesende, anspruchsvolle Lektüre, die insbesondere Kenner früherer Theaterzeiten begeistern dürfte.

# Michael Degen: Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung; 251 Seiten; Rowohlt Verlag, Berlin; € 19,95


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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