JENNIFER DUBOIS: EIN GUTES
MÄDCHEN
Ab 2007 erregte der Mordfall Meredith Kercher jahrelang die Öffentlichkeit, denn durch
viel Medienrummel wie auch durch ihr unangemessenes Verhalten wurde die vermeintliche
Mörderin Amanda Knox zum Engel mit den eiskalten Augen hochstilisiert.
In Italien, wo beide Frauen damals als Studentinnen gelebt hatten, als Mörderin
verurteilt, erlangte sie in der Berufungsverhandlung einen ebenso fragwürdigen
Freispruch, wie es das erste Urteil gewesen war. Natürlich entzog sie sich einer von der
italienischen Justiz angestrebten Neuauflage des Prozesses und lebt längst wieder in
ihrer US-Heimat. Für die junge Autorin Jennifer Dubois aber war dieser spektakuläre
Fall, der bis heute viele Fragen bis hin zu der nach der tatsächlichen Rolle der Amanda
Knox aufwirft, eine grandiose Vorlage für einen Roman.
Ein gutes Mädchen lautet der Titel und man muss vorausschicken, dass der
Sensationsfall nur die Einstiegskonstellation und ein Romangerüst geliefert hat. Hier ist
es Lily Hayes aus einer nur bedingt funktionierenden amerikanischen Mittelschichtfamilie,
die als Austauschstudentin nach Buenos Aires geht. Bei ihrer Gastfamilie, mit der sie
nicht sonderlich gut harmoniert, wohnt auch die bildhübsche und liebenswürdige Kathy
Keller, ebenfalls eine Amerikanerin.
Lily beginnt alsbald eine Affäre mit Sebastien, einem jungen ziemlich verschrobenen
Nachbarn, der von seinen verunglückten Eltern ein Vermögen geerbt hat und sich sehr in
Lily verliebt. Als fünf Wochen später Kathy brutal ermordet aufgefunden wird, ist es
vorbei mit Lilys unbeschwerten Leben, denn sie wird als Mordverdächtige festgenommen. In
ihrer wurstig-naiven Art begeht sie nun einen Fehler nach dem anderen und das beginnt
schon damit, dass sie scheinbar unbekümmert vor Zeugen einen Radschlag macht.
Sie gerät dabei an Staatsanwalt Campos, der sich schnell als unsicher und ziemlich
unprofessionell erweist. Was sich jedoch weit schlimmer niederschlägt ist, dass Lily ihre
prekäre Lage verkennt und auf einen Anwalt bei den Verhören verzichtet. Um so fataler
wirken sich die Belastungstendenzen des Staatsanwaltes aus, der immer mehr Druck ausübt,
um seine vorgefertigte Meinung über die Hergänge bestätigt zu kriegen.
Zwar reist Lilys Vater im festen Glauben an die Unschuld seiner Tochter nach Argentinien.
Seine Bemühungen stoßen jedoch an typische Grenzen als sprachunkundiger Ausländer.
Zudem sind die Haftbedingungen in südamerikanischen Gefängnissen berüchtigt. Zugleich
wird Lily in den Medien als zügellose Femme fatale ohne Gefühle stilisiert, was ein
faires Verfahren noch schwieriger macht.
Für den Leser aber zeichnet sich zunehmend ein differenzierteres Bild Lilys ab, bei der
man auch allmählich daran zweifelt, ob sie zu einer solchen Bluttat fähig wäre. Das
perfekte Bild des Mordopfers bekommt derweil übrigens einige Risse. Es soll hier jedoch
nicht verraten werden, ob und wie Lily ähnlich Amanda Knox den Fängen der
Justiz entkommt. Es gehört gerade zu den Stärken der Autorin, die Vielschichtigkeit wie
auch die Ungewissheit über die wahren Geschehnisse derartig spannend und glaubwürdig
offen zu halten.
Fazit: ein meisterhafter psychologischer Roman, der auch dank des klaren, unprätentiösen
Stils überzeugt.
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