JOYCE CAROL OATES: „DIE VERFLUCHTEN“


Joyce Carol Oates zählt zu den bedeutendsten US-Schriftstellern der letzten Jahrzehnte und auch zu den fleißigsten. Romane, Krimis, Theaterstücke, Essays und Poesie kennt man von ihr, weniger bekannt sind zumindest bei uns dagegen ihre früheren Gothic Novels, doch genau mit einem solchen Schauerroman überrascht die 76-Jährige jetzt ihre weltweite Fan-Gemeinde.
„Die Verfluchten“ heißt der Titel und Oates verrät dazu, dass erste Anfänge vor 30 Jahren entstanden, als sie Professorin der Princeton University in New Jersey wurde. Ausgerechnet dort in einer der angesehensten Geisteshochburgen spielt nun diese Geschichte um den Crosswicks-Fluch und etliche der wichtigsten Protagonisten sind hochstehende Mitglieder des Bildungsbürgertums. Zudem lässt der Zeitraum staunen, denn entgegen den klassischen Gruselromanen schreibt man 1905/06.
Und einige der spektakulärsten Mitwirkenden werden hier zwar fiktiv eingeflochten, sind jedoch historische Persönlichkeiten. Unter ihnen mit Ted Roosevelt, Calvin Coolidge und Woodrow Wilson gleich drei gewesene oder noch kommende US-Präsidenten, wobei Wilson zu dieser Zeit auch im wirklichen Leben als Präsident der reichen Privat-Universität fungierte. Hinzu kommen große Romanciers wie Jack London, Mark Twain und Upton Sinclair, die allesamt starke Auftritte haben und sich hier (mutmaßliche) romanhafte Auftritte bieten, die den Glanz ihrer Namen nicht unbedingt fördern.
Doch Oates erzählt nicht einfach drauf los, vielmehr lässt sie erzählen und setzt dafür M. W. van Dyke II. ein, der die Chronik des dramatischen Geschehens als typischer Amateur-Historiker niederschreibt. Mit all den typischen Fehlern, vor allem aber überengagiert und meist ziemlich distanzlos sowie mit der Einfügung seitenlanger „echter“ Tagebucheintragungen und Briefe. Wie die Autorin auf diesem Wege die bösen Geister loslässt, das unterstreicht ihre ganze Virtuosität.
Schon der Auftakt fesselt und führt zu einem baldigen grandiosen Höhepunkt, wenn die 19-jährige Annabel Slade vor den Traualter geführt wird. Sie ist eines der vier Enkelkinder des wohlhabenden alten Reverend Winslow Slade, der einst Gouverneur des Staates war und sich immer noch im Kreise der einflussreichsten Männer bewegt. Wie nun der beängstigende Axson Mayte auftaucht und die Braut unmittelbar nach ihrem Ja-Wort ihrem Bräutigam entführt, das setzt eine Gänsehaut fördernde Lawine finsterer Ereignisse in Gang, denen schließlich auch weitere Nachkommen des Reverend auf grausige Weise zum Opfer fallen.
Schon was Annabel alles zustößt, zählt der Chronist zu den „Unaussprechlichkeiten“. Derer folgen noch etliche und auch manch heikle Figuren bis hin zum wahrhaft obskuren Grafen English von Gneist tummeln sich da. Monströs erweisen sich die übernatürlichen Erscheinungen bis hin zu der mörderischen schwarzen Schlange, die einen regelrechten Wahn in der doch so hochgebildeten Gesellschaft auslöst.
Doch dieser wild mäandernde Schauerroman erfährt seine hohe Klasse weniger durch die reinen Gruselmomente als durch das Gesamtbild, in dem das historische Princeton und noch mehr die hochmögenden Größen der Gesellschaft hinreißende Rollen spielen. Wenn sich da die berühmten Schriftsteller bedeutungsheischende Streitereien liefern oder die Politiker sich als wenig leuchtende Säulen des politischen Lebens demaskieren – wo gerade Wilson als späterer Vorzeige-Demokrat und Friedensnobelpreisträger mit rassistischen Witzen und frauenfeindlichen Hetzreden glänzt – dann entfaltet sich dieser Roman als faszinierende Melange aus Gruselgeschichte, schwarzer Komödie und glitzernder Satire.
Auch wer mit dem Genre der Gothic Novel an sich wenig anfangen kann, sollte sich einfach darauf einlassen, denn Joyce Carol Oates ist ein außergewöhnliches und auch intellektuell anspruchsvolles Meisterwerk gelungen, an dessen Opulenz man sich geradezu in einen Rausch lesen kann.

# Joyce Carol Oates: Die Verfluchten (aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz); 750 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 26,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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