NEAL SHUSTERMAN: „VOLLENDET.
DIE RACHE“
Weiter geht es nun mit der ebenso rasanten wie bitterbösen dystopischen
„Vollendet“-Reihe von Neal Shusterman, in der Jugendliche zwischen 13 und 17
Jahren zur Umwandlung freigegeben werden, wenn sie Eltern, Waisenhäusern oder Behörden
missliebig geworden sind. Nach dem zweiten US-Bürgerkrieg gelten diese Gesetze, die
Abtreibungen streng verbieten und dafür die Abgabe als Jugendliche zulassen, bei der
diese bis zu 99,44 Prozent recyclet werden.
In den beiden ersten Bänden standen vor allem einige geflüchtete Jugendliche im
Mittelpunkt, allen voran der zum Helden der Flüchtlinge gewordene Connor Lassiter sowie
die von ihm gerettete Risa Ward und das umgedrehte ehemalige religiös initiierte
Zehntopfer Lev. Ihren großen geheimen Unterschlupf auf einem Flugzeugabstellplatz haben
sie unter schweren Verlusten verloren und viele irren als Gejagte umher. Zugleich hat der
Widerstand gegen die menschenverachtende Praxis der Komplettzerteilung erheblich
zugenommen.
Davon und von kaum fassbaren neuen Erkenntnissen erzählt Band 3 unter dem Titel
„Vollendet. Die Rache“. Doch Kenner der Reihe merken bald, dass es nicht bei
einer Trilogie bleibt. Viel zu viele Ideen und neue Charaktere fordern einfach einen 4.
Band, gleichwohl fesselt auch dieses Buch mit mörderischer Sogwirkung weit mehr, als es
sogenannten Zwischenbänden oft zu eigen ist. Hier nun steigt unter anderem Starkey zu
einem hasserfüllten Helden auf, der mit seiner „Storchenbrigade“ in die
Offensive geht und unter Waffengewalt Umwandler aus den Ernte-Camps befreit.
Seine Kämpfer sind besonders motiviert, denn sie waren einst „gestorcht“, also
als unerwünschte Findelkinder Eltern zwangsauferlegt, und als solche hatten sie stets
besonders geringe Chancen, den Schergen der mächtigen Jugendbehörde und ihren brutalen
Jugendpolizisten zu entgehen. Eine zentrale Rolle spielt zudem Cam, der erste vom
Proaktiven Bürgerforum, dem alles beherrschenden Drahtzieher des Systems, hergestellten
Designermensch, der ausschließlich aus Teilen von Umwandlern kreiert wurde.
Er begehrt auf und mit seiner brennenden Frage nach Identität und Menschsein bringt er
außerdem ein philosophisches Element in das tiefgründige Geschehen. Zugleich hat er sich
unsterblich in Risa verliebt und wird schließlich zum gefährlichen Rivalen für deren
alter Liebe Connor. Der von einem Fluchtort zum nächsten hetzt, unter anderem von dem
widerlichen Organpiraten Nelson gejagt, dabei aber mit Grace von einer neuen, höchst
interessanten Mitkämpferin begleitet.
Während sich Starkey von dubiosen Unterstützern „von oben“ vereinnahmen
lässt, eilen Connor und seine Begleiter zu Sonia, der alten Dame von der
Fluchthilfeorganisation, die ihnen schon einmal entscheidend geholfen hat. Doch Connor
hofft diesmal bei ihr auf mehr Informationen über das Geheimnis, das hinter dem
Umwandlungssystem steckt, von dem eine empörte Mutter sagt: „Stell dir das nur vor.
Wir sind bereit, die Kinder, die wir nicht lieben, für die zu opfern, die wir lieben. Und
dann schimpfen wir uns zivilisiert!“
Und tatsächlich endet die erneute Achterbahnfahrt unter dramatischen Umständen bei Sonia
und es kommt Ungeheuerliches heraus, denn sie und ihr verstorbener Mann Janson Rheinschild
waren einst mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftler, denen bahnbrechende
Entwicklungen gelangen. Die ihnen dann jedoch abgekauft wurden und in die Hände
gewissenloser Menschen fielen. Atemlos und in Hochspannung auf die Auflösung in Band 4
wartend bleibt der Leser zurück mit vielen neuen, oft infamen Erkenntnissen und ebenso
vielen offenen Fragen.
Fazit: die immer neuen Ideen samt zynischen Werbeeinschüben und kaum vorstellbaren
menschlichen Abgründen machen „Vollendet“ auch in dieser Folge zu einem
zuweilen nur schwer zu ertragenden, infernalisch mitreißenden Lesestoff. Und das nicht
nur für junge Leser ab etwa 15 Jahre, sondern auch für erwachsene Leser mit starken
Nerven und einem Faible für herausragende aber unerbittliche Stoffe.
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