ANNA
HOPE: ABGESANG
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg und viele der Millionen darin umgekommener
Soldaten fanden nie ein offizielles Grab. 1920 schließlich regte der Dekan von
Westminster ein besonderes Gedenken dieser Gefallenen an, indem das Grabmal eines anonymen
toten Soldaten inmitten jenen der Könige in der Westminster Abbey eingerichtet werden
sollte.
Schon während des Krieges waren solche Gedanken in Großbritannien und Frankreich
aufgekommen und es sollte ein Soldat ohne bekannten Rang, sozialem Status und Identität
sein. Im November 1920 war es so weit und im Verbund mit den fünf Tagen von der
Exhumierung bis zur feierlichen Beisetzung der sterblichen Überreste hat Anna Hope daraus
einen bewegenden Roman gemacht.
Unter dem Titel Abgesang erzählt sie über den Zeitraum dieser Tage vom
Schicksal dreier Engländerinnen mit durchaus exemplarischen Erfahrungen als Angehörige
gefallener Soldaten. Da ist die Mittvierzigerin Ada, deren 18-jähriger Sohn an der Front
verschollen ist, doch selbst jetzt will sie noch nicht wahrhaben, dass er offenkundig zu
den vielen unbekannten Kriegstoten zählt. Die wohlhabende Lady Evelyn weiß vom Ende
ihres Geliebten, gleichwohl findet aber auch sie selbst zwei Jahre nach dem Krieg nicht
wieder in ein halbwegs normales Leben zurück.
Bleibt die 19-jährige Hettie, die sich nach Liebe und einer Ehe sehnt. Ihr Vater starb an
der Asiatischen Grippe, die gleich nach dem Krieg Millionen der ausgelaugten Menschen
tötete. Ihr Bruder aber gehört zu den vielen Heimkehrern, die äußerlich zwar
unversehrt sind, seelisch jedoch noch lange oder auch dauerhaft an den psychischen Folgen
des sogenannten Granatenfiebers leiden und die Fähigkeiten für ein alltägliches Leben
verloren haben. Hettie verdient sich ihren Lebensunterhalt nun als Miettänzerin in einem
Tanzpalast und träumt recht naiv davon, dort vielleicht auch einem Partner für ein
anderes Leben zu begegnen.
In vielfachen Perspektivwechseln erfährt der Leser die oft recht hoffnungslose
Trauerbewältigung dieser drei Frauen. Eingeschoben sind jeweils kurze sachliche
Schilderungen des Weges des anonymen Gefallenen. Dazu wurden sterbliche Überreste von
vier Schlachtfeldern geborgen, einer der vier Särge ausgewählt und nach London
transportiert. Versehen mit einem Schwert und der Plakette Ein britischer Krieger,
gefallen im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Für König und Vaterland wurde dieser Sarg
am 11. November 1920, dem Jahrestag des Waffenstillstands von 1918, mit allen
militärischen Ehren und unter größter öffentlicher Anteilnahme im Grabmal des
Unbekannten Soldaten stellvertretend für all die anderen beigesetzt.
Abgesang ist ein bewegendes und weitgehend trauriges Buch. Seine besondere
Qualität gerade zur 100. Wiederkehr des Kriegsausbruchs, aber auch eingedenk des Beginns
des noch schlimmeren Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren liegt in den exemplarischen
Erfahrungen, die hier aus Sicht einiger fiktiver Hinterbliebener geschildert werden und in
ähnlicher Weise ihre Entsprechung in all den anderen von den Weltkriegen betroffenen
Ländern haben.
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