HANS HERBERT GRIMM:
SCHLUMP
Als die Nazis im Mai 1933 zur großen Bücherverbrennung schritten, war unter den 131
betroffenen Autoren auch ein Anonymus, dessen Antikriegsroman dadurch in völlige
Vergessenheit geriet. Dabei erhielt Schlump Geschichten und Abenteuer aus dem
Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt Schlump, von ihm selbst
erzählt ähnlich großartige Kritiken wie Erich Maria Remarques Im Westen
nichts Neues
Der war allerdings 1928 etwas eher erschienen und erlangte weltweit sofort Erfolg und der
Oscar-prämierte Film sorgte zusätzlich dafür, dass Schlump in seinem
Windschatten blieb, zumal es keinen Autor für eine Werbekampagne gab. Erst Volker
Weidermanns Buch der verbrannten Bücher brachte 2008 den Titel zurück und
über einen Zeitungsaufruf meldete sich tatsächlich die Schwiegertochter des Autors.
Dieser Hans Herbert Grimm hatte seinen pazifistischen Roman damals aus Angst um seine
Anstellung als Französischlehrer anonym verfasst und nur sein Verleger kannte die
Wahrheit.
Im Zweiten Weltkrieg erneut eingezogen, ging seine Furcht vor Repressalien so weit, dass
er nicht nur sein letztes persönliches Exemplar in der Wohnzimmerwand einmauerte, er trat
sogar der NSDAP bei. Mit fatalen Folgen nach dem Krieg, denn seine Heimatstadt Altenburg
gehörte nun zur DDR. Zwei Tage nach einer Vorladung zu den Behörden beging Grimm
Selbstmord. Nun aber liegt dieser einzigartige Roman endlich wieder vor, mit dem
Originalcover von Emil Preetorius, Illustrationen eines befreundeten Kriegsteilnehmers und
einem erhellenden Nachwort von Volker Weidermann.
Schlump meldet sich im Sommer 1915, gerade 17 geworden, freiwillig zum Militär und der
frohgemute Bursche hat wegen seines bisschen Schul-Französisch das Glück, in der Etappe
eingesetzt zu werden. Er hat etwas von einem arglosen Schelm, ist zwar recht intelligent,
dabei aber von einer unbekümmerten Naivität, wie er hier nun das kriegsferne Treiben
inmitten der freundlichen französischen Zivilisten genießt.
Seine ebenso einfache wie weise Erkenntnis, dass bloß die Dummen an die
vorderste Front geschickt werden, nützt ihm schließlich jedoch wenig. Dabei hat er in
den Dörfern schon erstes Kriegsgrauen miterlebt, als eine schwangere Französin von einer
Fliegerbombe zerrissen wird. Und Schlump entfährt die erste heftige Galligkeit:
Derjenige aber, der die Menschen gemacht hat, der mag sich in Grund und Boden
schämen, denn seine Schöpfung ist eine große Schande!
In den Schützengräben des Stellungskrieges dagegen erlebt Schlump nicht nur das endlose
tägliche Sterben von Kameraden, die Kälte, den Hunger, das allmähliche Vergammeln am
ganzen Leib bei ständig lauernder Lebensgefahr. Das hat so ganz und gar nichts Heroisches
und auch diesen Hans im Glück erwischt eines Tages eine Granate. Mag er auch die
Lazarettzeit auf seine herzige Weise, die immer wieder an die bubenhafte Dreistigkeit
eines Felix Krull und die Kauzigkeit eines Schwejk erinnert, genießen, daheim ist der
Hungerwinter eingezogen, an dem der Vater vor Entkräftung stirbt.
Schlump aber muss im schlimmsten Winter zurück an die Front und der Roman beschert kaum
erträgliche Szenen in den Gräben und auf dem Schlachtfeld. Wenn er schließlich bei
Kriegsende dennoch zerzaust und zutiefst desillusioniert heimkehrt und dort eine Johanna
ihn schon erwartet, dann gönnt man diesem namenlosen Emil Schulz das Happyend, das das
Furchtbare, das sich für ihn wie für den Leser erst allmählich, dann aber tief
beklemmend aufgetan hat, gleichwohl unvergesslich macht. Zu ertragen ist das nur dank
dieser hinreißenden Prosa eines absolut ernst zu nehmenden Schelmenromans, die bei allem
Realismus immer wieder auch mit Schalkhaftigkeit und großer Menschlichkeit fasziniert.
Und man muss den Bücherverbrennern eigentlich sogar zustimmen: dieses Werk ist so
pazifistisch, so unheldisch und dabei franzosenfreundlich und lässig antimilitaristisch,
dass man es zu Recht als ziemlich undeutsch bezeichnen könnte. Fazit: Schlump
ist sehr anders als Remarques Im Westen nichts Neues, eine ähnliche
Wertschätzung als zeitloser Klassiker verdient es gleichwohl.
|