HEINRICH STEINFEST: DER
ALLESFORSCHER
Ein wenig umständlich und doch so skurril wie gewohnt startet Heinrich Steinfest seinen
jüngsten Roman Der Allesforscher. Und auch völlig absurd, denn Ich-Erzähler
Sixten Braun spaziert frühmorgens durch die Straßen von Tainan auf der chinesischen
Insel Taiwan und wird ins Koma geschleudert, als ein toter Wal explodiert und ein Teil aus
dem Inneren ihm vor den Kopf fliegt.
Halt ganz so absurd ist das trotz allem nicht, denn im Januar 2004 passierte exakt
dergleichen genau hier, dass nämlich die Gärgase einen toten Wal beim Transport
sprengten. Ein Glücksfall für den jungen IT-Manager aus Deutschland, denn als er
erwacht, verknallt er sich unsterblich in die attraktive deutsche Neurologin, die ihn im
Krankenhaus behandelt. Es gelingt ihm sogar, mit dieser Dr. Lana Senft anzubandeln und die
beiden Nächte mit ihr wirken auf ewig nach.
Doch das ist erst der Einstieg in Steinfests so genial verschrobene Schreibkunst, mit der
er sich diesmal nicht einem Krimi widmet. Die aberwitzigen Schicksalswege aber bleiben
Sixten Braun treu, als er nun aus geschäftlichen Gründen nach Japan fliegen muss. Mit
dem festen Vorsatz, zu Lana zurückzukehren, obwohl er daheim ja eine Verlobte hat. Was
jedoch spektakulär danebengeht, weil sein Flugzeug auf dem Rückflug nach Taiwan in einem
Unwetter notwassern muss. Sixten überlebt als einer von wenigen, allerdings nur auf
Kosten seines Sitznachbarn mit dessen Schwimmweste.
Rasant geht es weiter, nun in Köln, wo der Schwiegervater ihn in den gut dotierten Job in
seiner Firma drängt, Eheschließung mit der ungeliebten Verlobten inklusive. Zwei Jahre
hält er durch, lässt sich scheiden, geht nach Stuttgart und auch sonst völlig andere
Wege im Traumberuf seiner Kindheit als Bademeister im feinen Mineralbad Berg. Viel
bescheidener aber auch irgendwie zufriedener, beschaulicher.
Wie der Roman, der nach dem wilden Tempo nun nachdenklicher wird. Ohne dabei an
abenteuerlichen Pirouetten zu verlieren, denn nun tritt Simon in sein Leben. Es meldet
sich Kerstin, Mitarbeiterin der taiwanesischen Vertretung und Sixten erfährt zweierlei:
die Neurologin Lana ist einem Hirntumor erlegen und es gibt da ein Kind von ihm. Darum
soll er er sich jetzt kümmern, allerdings zeigt der erste Blick, dass dessen chinesisches
Aussehen Sixtens Erzeugerschaft ausschließt.
Dennoch ist der von dieser unverhofften Vaterrolle sofort begeistert: Und dann kam
der Junge. Ein Flugzeug brachte ihn, wie andere Kinder der Storch. Dieses schmale
Kind gewinnt die Herzen wie im Fluge, obwohl es autistische Züge hat, denn es spricht nur
in einer sonst niemandem verständlichen Pseudosprache und es versteht sich auf geradezu
genial perfektes Zeichnen. Während Vater und Sohn ein wunderbares Verhältnis zueinander
entwickeln, spielt auch Kerstin eine wichtige Rolle in Sixtens Leben. Hinzu kommen aber
noch diverse wahrlich spektakuläre Nebenfiguren.
So erweist sich Simon nun auch noch als gewiefter Kletterer, der sogar Sixten zu einem
Tripp in die Tiroler Tux überreden kann, obwohl der die Berge hasst, weil dort einst
seine Schwester tödlich verunglückte. Zu den schrägsten Begegnungen dort zählt die auf
einer Berghütte, deren schöner Koch der Chinese Auden Chen ist. Der einstige Fabrikant
tauchte hier auf der Flucht vor Gangstern unter und stellt sich ganz nebenher als der
Erzeuger Simons heraus.
Um das alles erfassen zu können, muss man schon ein Allesforscher sein, also
die kindlich ausgedrückte Version eines Universalgelehrten. Im Einzelnen und in der
Gesamtheit ein verrücktes, völlig unglaubliches und doch wahrhaftiges und warmherziges
Buch, das bei aller Fantasterei und Schicksalspuzzelei dank der faszinierenden
Meisterschaft Steinfests in der Verknüpfung unwahrscheinlicher Gegebenheiten fesselt,
bewegt und immer wieder auch herzhaft erheitert. Fazit: ein ganz großes Vergnügen für
anspruchsvolle Leser mit Sinn für die Unwahrscheinlichkeiten des Lebens.
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