NOAH HAWLEY: „DER VATER DES ATTENTÄTERS“


Wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, ist Schlimmeres kaum vorstellbar. Und doch erlebt Dr. Paul Allen, angesehner Arzt an einem New Yorker Krankenhaus, genau das, als sein Sohn Daniel den hoffnungsvollen Präsidentschaftskandiaten Jay Seagram bei einem Wahlkampftermin niederschießt und schließlich zum Tode verurteilt wird.
Noah Hawley hat aus dieser sehr realistisch dargestellten Geschichte den zutiefst packenden Roman „Der Vater des Attentäters“ geschaffen. Der Alptraum beginnt beim gemütlichen Abendessen im behaglichen Heim, in dem Allen mit seiner zweiten Frau Fran und den Zwillingsjungen glücklich lebt. Im Fernsehen wird per Sondermeldung gezeigt, wie Senator Seagram angeschossen und abtransportiert wird. Erste verwackelte Bilder lassen den Attentäter nicht erkennen und die Familie ist einfach nur erschüttert wie Millionen Amerikaner auch.
Doch noch bevor das Ehepaar darüber sprechen kann, klingeln Geheimdienstler an der Tür. Zugleich informiert Fran den fassungslosen Paul, dass das Fernsehen soeben seinen Sohn Danny als identifizierten Täter genannt habe. Daniel, Sohn aus der ersten, gescheiterten Ehe mit der flatterhaften Ellen, in einer Reihe mit politischen Mördern wie Lee harvey Oswald oder John Hinckley?! Lange wehrt sich Vater Paul dagegen, das zu glauben, und als es selbst für ihn keinen Zweifel mehr geben kann, glaubt er an Gehirnwäsche oder eine Verschwörung ausländischer Kräfte.
Dieser Kreuzzug gegen jede Logik geht tief unter die Haut, weil Paul ihn als Ich-Erzähler vorträgt. Sein Kampf gegen das Unvermeidliche wird zur Obsession und liest sich zuweilen komplex, immer aber intensiv und glaubwürdig. Hilflos und schonungslos gegen sich selbst stellt er all die Fragen nach einer Schuld an dieser Katastrophe, die das Leben so vieler Menschen auf immer prägen wird. War Danny durch die gescheiterte Ehe geschädigt und hätte er sich mehr um ihn kümmern müssen? War er denn wirklich fähig zu einer solchen Tat?
Mühsam erforscht der Vater die letzten Monate seines Sohnes, der in den regelmäßigen Telefonaten doch unauffällig und durchaus zufrieden gewirkt hatte. Allerdings war er ein Einzelgänger mit Hang zur Eigenbrötelei und der erschütterte Paul muss nicht zuletzt anhand der lückenhaften Tagebuchaufzeichnungen Dannys erkennen, in welchem Ausmaß die endlose fruchtlose Suche nach Liebe und Anerkennung den Jungen psychisch mehr und mehr aus der Bahn geworfen hatte. Mittendrin gibt es spannende Momente aus dem Wahlkampf des strahlenden Präsidentschaftskandidaten, der schließlich stellvertretend für den Vater für mangelnde Zuwendung und vor allem für Unaufrichtigkeit bestraft wird.
Man bekommt eine Ahnung von dieser Entwicklung bis hin zum Düsteren, wie sie auch der Vater erhält, der bitter erkennen muss, dass er darin versagt hat, sein Kind bedingungslos so zu akzeptieren und zu lieben, wie es ist. Das ist dann so exzellent und bewegend geschrieben, dass hier auch männliche Leser die Taschentücher bereit halten sollten. Fazit: ein großer, wenngleich nicht leicht zu ertragender Roman, inhaltlich und literarisch auf ganz hohem Niveau.

# Noah Hawley: Der Vater des Attentäters (aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence); 399 Seiten; Nagel & Kimche Verlag, München; € 21,90


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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