TORSTEN KÖRNER: "DIE FAMILIE WILLY BRANDT"

Am 18. Dezember dieses Jahres wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden, Zeit also für viele Rückblicke und Domentationen über einen Jahrhundertpolitiker, dem es in wenigen Jahren gelang, Deutschland in der Welt wieder sympathisch zu machen.

Natürlich existiert bereits eine Fülle von Büchern über den Friedensnobelpreisträger von 1971, gleichwohl hat Torsten Körner ein herausragendes Werk über Willy Brandt geschaffen, das dessen Bild neue Aspekte und eine größere Tiefenschärfe verleiht. "Die Familie Willy Brandt" lautet der Titel und der verrät die andere Herangehensweise des erfahrenen Biographen, dem unter anderem eine exzellente Biographie über den als sehr schwierig bekannten Götz George gelang.

Wie erlebte Brandts Familie seinen Aufstieg, seine Krisen und den Sturz und vor allem: gab es den Privatmann, Ehemann und Vater überhaupt? Körner sichtete dazu eine Fülle von Quellen und hatte als Erster auch Zugang zum Nachlass von Rut Brandt. Immerhin war sie 32 Jahre lang seine Ehefrau, in Wirklichkeit aber weit mehr als die liebevolle Mutter der drei Söhne. Die als charakterstark, geistreich und charmant beschriebene zweite Gattin war lange Zeit nicht nur ein wichtiger Rückhalt, sie sorgte mit ihrer Erscheinung bei öffentlichen Auftritten auch für ein anderes, vom immer noch muttihaften Bild einer deutschen Politikergattin deutlich abgehobenes Bild.

Überhaupt nimmt Rut Brandt einen breiten Raum ein in diesem Buch und Körner würdigt ihre Rolle, wie es längst überfällig war. Immer wieder erfährt der Leser aus verschiedenen Blickwinkeln, wie erstaunlich unberührbar, verschlossen der große Charismatriker Brandt privat oft war, wie er sich schweres Schweigen hüllte und zu Herbstdepressionen neigte. Die sensible Gattin war dann am ehesten diejenige Person, die ihn zu öffnen vermochte. Geht es unmittelbar um den brillanten Redner mit dem gewinnenden Auftreten, wird die immense Widersprüchlichkeit dieses Mannes deutlich, der für sich und das nicht nur privat ein Zweifler und Zauderer und zwischenmenschlich gar kontaktscheu war.

Um so überraschender stehen dem die Erkenntnisse über den Vater und Großvater Brandt gegenüber, der liebevoll und fürsorglich war. Die beiden Enkelinnen konnte er zwar nur noch für wenige Jahre genießen, doch sie liebten ihn so innig wie er sie. Aber auch die vielen Gespräche, die Körner mit Brandts Söhnen Peter, Lars und Matthias geführt hat, eröffnen ein rundes Bild, wenngleich der Vater fast nie nur privat zu sein vermochte. Den Eindruck eines bei aller sonstigen emotionalen Verschlossenheit warmherzigen Vaters vervollständigen schließlich die Passagen über Ninja Frahm, die Tochter aus Brandts erste Ehe in Norwegen. Sie wuchs dort auf, doch Brandt hielt bis zuletzt engen Kontakt zu ihr.

Natürlich sprach Körner auch mit Weggefährten und es gibt manchen intimen Einblick in Eigenheiten, die dem Bild eines in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Menschen die ein oder andere ungeahnte Nuance verleihen. Wie zum Beispiel Brandts geradezu obsessives Rauchen, das ihn ausgerechnet in seinen düstersten Krisenzeiten schwer belasten sollte, als er es nämlich nach einer schweren Hals-Operation aufgeben musste.

Das Alles ist nicht nur mit bewundernswerter Akribie entstanden sondern bei allen teils durchaus kontroversen Aspekten von einem sensiblen und unaufgeregten Umgang mit dem ein oder anderen heiklen Thema geprägt. Eine Biographie im klassischen Sinne allerdings stellt das weniger dar, zumal das Buch auf angenehme Weise persönlich gehalten ist. Was Torsten Körner hier geschaffen hat, ist eine große Recherche und Reportage zu einer herausragenden Persönlichkeit der Weltgeschichte, die zu den relevanten Werken über Willy Brandt gezählt werden darf.

 

# Torsten Körner: Die Familie Willy Brandt; 510 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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