IAN McEWAN: "HONIG"

"Ich heiße Serena Frome, und vor knapp 40 Jahren wurde ich vom britischen Nachrichtendienst auf eine geheime Mission geschickt. Sie ging nicht gut aus." Mit dieser ominösen Eröffnung beginnt der jüngste Roman von Erfolgsautor Ian McEwan, der tief in die 70er Jahre in England zurückführt, als dort heftige Streiks sowie Bombenattentate der IRA an der Tagesordnung waren und die allgemeine Stimmung düster schien.

"Honig" lautet der Titel und so heißt auch das mysteriöse Projekt des MI 5, mit dem der Inlandsgeheimdienst Schriftsteller und andere Intellektuelle jetzt mitten in den Zeiten des Kalten Krieges gegen die kommunistische Infiltration in seinem Sinne als Gegengewicht positionieren will. Die attraktive Bischofstochter Serena kommt da genau passend ins Spiel, nicht wegen ihres mittelmäßigen Mathematik-Abschlusses in Cambridge, sondern als fanatische Vielleserin, die nur auf Drängen der Eltern nicht Literatur studiert hat.

Da trifft es sich gut, als der Professor Tony Canning die Liebeshungrige betört, die in ihrer Naivität ihre intellektuellen Fähigkeiten deutlich überschätzt (was die Ich-Erzählerin im Gegensatz zum Leser natürlich selbst nicht merkt!). Dann beendet er die Affäre aber abrupt, räumt ihr jedoch als ehemaliger Geheimdienstler die Chance ein, beim MI 5 für das "Honig"-Programm einzusteigen. Die Anstellung ist zwar nur geringwertig - Anfang der 70er Jahre gilt das Metier noch als absolute Domäne der "grauen Herren" - doch gleich der erste Einsatz wirkt verlockend.

Die Zielperson Thomas Haley unterrichtet an der University of Sussex und gilt als aufstrebender Schriftsteller. Serena ist erst fasziniert von seinen Kurzgeschichten und als sie ihm dann ein Stipendien der angeblichen Freedom International Foundation unterbreiten soll, springt die Faszination sofort auch auf den Mann über und sie sind im Nu ein Liebespaar.

Tatsächlich schreibt sich Haley immer mehr in den literarischen Olymp, bis sein Roman "Aus dem Tiefland" sogar mit dem Jane-Austen-Literaturpreis ausgezeichnet wird. Was dem MI 5 allerdings gar nicht gefällt, denn es dreht sich dabei um ein apokalyptisches zerstörtes England und ist eher kapitalismuskritisch statt ein Werbefeldzug gegen das Sowjetsystem. Ohnehin war Serena bereits in einem schlimmen Dilemma mit ihrem wahren Hintergrund, den sie dem geliebten Haley kaum offenbaren konnte, ohne ihre Liebe zu zerstören. Doch nun das: nach all den Lobeshymnen der Kritiker veröffentlicht die Presse plötzlich die Bloßstellung, Haley sei vom Geheimdienst finanziert worden.

Mehr sei von dieser ausgeklügelten Melange aus Agentenstory, Liebesgeschichte und spannenden Einblicken in den Literaturbetrieb nicht verraten. McEwan hat etliche autobiografische Versatzstücke eingeflochten, vor allem aber frönt er seiner Vorliebe, den Leser immer wieder auf falsche Fährten zu locken. Wieder und wieder erscheinen Dinge da auf einmal in einem neuen Licht und gegen Ende warten Überraschungen, die bisher scheinbar wenig Schlüssiges nun als folgerichtig offenlegen.

Wer im Übrigen ein Projekt wie "Honig" für Fantasterei hält - derartige obskure Kultureinsätze haben CIA und MI 5 damals tatsächlich betrieben. Ein Agententhriller ist dieser raffinierte Roman nicht, dennoch ein bis zuletzt fesselndes Lesevergnügen auf hohem Niveau.

 

# Ian McEwan: Honig (aus dem Englischen von Werner Schmitz); 463 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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