HORST EVERS: "DER KÖNIG VON BERLIN"

Scheinbar eher harmlos wenngleich ziemlich skurril beginnt der erste Krimi von Horst Evers mit einem Rattenfund in einem Berliner Hinterhofsandkasten. Kammerjäger sind zugegen, als die alarmgebende Dame in das Tunnelsystem der Ratten einbricht und eine Leiche gefunden wird. Arg zerschlissen, aber niemand hatte den Mitbewohner des Miethauses wirklich vermisst.

Mit diesen Szenen werden auch gleich wichtige Protagonisten eingeführt, allen voran Mordermittler Carsten Lanner. Mit Mitte 30 ist er bereits Hauptkommissar, weil er im heimischen Cloppenburg so gute Arbeit geleistet hat. Die Versetzung in die Hauptstadt aber empfindet er als echten Hauptgewinn, auch wenn die Kollegen den "Dorfsheriff" mächtig mobben.

Am meisten verdrießt den oft gefoppten Lanner jedoch, dass am Tatort ausgerechnet sein Intimfeind Georg Wolters aus Schulzeiten herumsteht. Allerdings: erstens hat es das Großmaul nach diversen Studienabbrüchen nur bis zum Hilfskammerjäger gebracht und zweitens bedeutet der Mistkerl doch auch ein Stück Heimat. Ohne es zu ahnen stehen beide mit dieser Begegnung an der Schwelle zu dramatischen Ereignissen.

Großes tut sich, denn Lanner hat auch mit dem mysteriösen Gifttod von Erwin Machallik zu tun und der war nun wirklich heimlich das, als was er sich selbst bezeichnete: "Der König von Berlin". So lautet auch der Titel des Krimis, bei dem man wegen dieses für seine alltagskomischen bis hintersinnig satirischen Texte berühmten Kabarettisten zunächst nicht zu Unrecht vermutet, das sei eine herzhaft kauzige Kriminalkomödie. Tatsächlich bringt Evers gerade zu Beginn köstliche Komik ein und manche Macken seiner Figuren sorgen für lautes Lachen.

Doch es sei vorweg gesagt: bald schon entwickelt sich aus den vermeintlich kleinteiligen Mordfällen ein Krimi der Spitzenklasse mit rasanter Spannung und ungeheurer Sogwirkung. Und das hat mit Machallik, dem verblichenen König der Kammerjäger zu tun, dessen schrullige Söhne im Hochsicherheitsbunker des ebenso versoffenen wie paranoiden Alten hocken und hilflos sein Video-Testament zu enträtseln versuchen. Das offenbart nicht weniger als die als Rache angekündigte Apokalypse für Berlin.

Neben den 3,5 Millionen Einwohnern leben hier rund zehn Millionen Ratten. Machallik hatte sie nicht nur raffiniert in Schach gehalten (das atemberaubende System dahinter sei hier nicht vorweggenommen!), für sein Ableben hatte der Alte exakte Vorhersagen gemacht, in welchen Abständen sich die Populationen vervielfachen und schließlich die ganze Stadt übernehmen würden. Machallik hatte zudem ein geniales Gift erfunden, dass die Ratten in einen Glückszustand versetzte und sanft sterben ließ - nun aber drohen alle Dämme zu brechen.

Derweil ermitteln Lanner und seine smarte Kollegin Markowitsch hinter dem Eingangstoten her, dem gewaltsam umgekommenen Ghostwriter Kaminski. Der scheint außerordentlich fleißig und erfolgreich gewesen zu sein, denn in seiner Wohnung findet sich eine riesige Menge Bargeld. Und immer mehr eröffnen sich Querverbindungen bis hin zur Stadtspitze. Die beruft nach der ersten großen Rattenattacke eine Krisenkonferenz ein - schließlich stehen die Landtagswahlen unmittelbar bevor.

Bürgermister Koppelberg tobt und weiß sich nur noch in eine Hurra-Haltung zu retten, indem er auf ein Wunder hofft: "Sobald ein Wunder die letzte Chance ist, wird es gleich viel wahrscheinlicher, dass auch eines eintrifft." Ob dafür schließlich die teils mächtig dunklen Drahtzieher der Berliner Stadtpolitik oder auch der wackere Lanner mit seinen Mitstreitern verantwortlich sind, sei hier nicht verraten, denn das ist ebenso raffiniert wie schlüssig ausgeklügelt. Hinreißend ist bei all dem das grandios erfundene Personentableau aber auch die ständig real durchschillernde Satire, in der ein strippenziehendes Triumvirat namens "MaMMa" ganz schön lebensnah erscheint.

Fazit: mit seinem ersten Krimi ist Horst Evers ein Meisterwerk des Genres gelungen und er hat vielen Spitzenautoren noch eines voraus - Szenen von schriller Komik und manch heimtückische Humoreinfälle, die dennoch die ernsthafte Kriminalhandlung nicht untergraben. Und selbstverständlich ist "Der König von Berlin" absolut filmreif.

 

# Horst Evers: Der König von Berlin; 380 Seiten; Rowohlt Verlag, Berlin; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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