JUTTA VOIGT: "SPÄTVORSTELLUNG"

Ein Roman über das Altwerden und das gar noch mit einigem Humor und philosophischem Tiefgang? Ja und nein, denn Jutta Voigts "Spätlese" handelt vom Älterwerden, intelligent und ohne Pseudo-Euphemismen wie denen von Best- oder Silverager, die die Menschen ab etwa 60 PR-mäßig verklären wollen.

Die erfahrene Journalistin schreibt aus der eigenen Altersklasse und deren Erfahrungen, selbst gemachten wie auch denen von Freunden. Die Rahmenhandlung übernehmen Sylvie und Konrad, die ihren 50. Hochzeitstag in Venedig verbringen. Was ist das für eine Innenansicht, wenn Ich-Sein und das Gegenüber im Spiegel irgendwie nicht zueinander passen wollen? Und hier geht es weniger um Alltags-Kleinklein sondern um jenen als Alter bezeichneten Lebensabschnitt, für den es keine vorherige Probe gibt und der sich auch nicht mit einem bestimmten Kalendertag einfindet.

Diese Protagonisten sind nicht Betagte, Rentner auf Altenteil, sie sind Individualisten, die nicht nur auf Jugend und Erwachsenenleben zurückschauen. Da gibt es zwar eine Menge Erlebtes im Rückblick und nicht mehr so viel vor sich, aber auch mehr Gelassenheit gegenüber den Aufgeregtheiten des Lebens. Und immer noch Gefühle, Ambitionen, Lebendigkeit. Da sagt es sich viel leichter, was einem nicht passt und man meidet eher den Umgang mit Menschen, die einem nicht gut tun oder die einfach nur langweilen.

Sylvie genießt, dass ihr Konrad auch nach 50 Jahren noch charmant zu ihr ist. Auch das hat sie trotz äußerlichen Spuren des Alterns und alten Marotten jung bleiben lassen. Spannend werden da die Dialoge der Beiden über die Liebe, ob es den Mann bzw. die Frau fürs Leben wirklich gibt. Das berührt mit einer ebenso feinen wie lebensnahen Mischung aus Komik und Tragik, aus kleinen Hakeleien, gemeinsamem Lachen und einem natürlichen Hauch von Melancholie angesichts der verblühenden Zeit.

Doch es geht nicht nur um dieses Paar, auch andere Erfahrungen bereichern diesen Reiseführer durch das Land der Älterwerdenden. Es geht nicht um Sex im Alter, aber durchaus um das Miteinander "passender" Partner, wenn da eine Frau die kraftzehrende Falle erahnt, die ein jüngerer Liebhaber bedeuten könnte. Und da erlebt eine recht junge Frau, dass ihr reifer Partner sich lieber einer Gleichaltrigen zuwendet, weil ab einem bestimmten Alter die Übereinstimmung der Lebenserfahrung wichtiger wird als die Spannung durch Gegensätzlichkeiten.

Klug hat die elegante Stilistin die Geschichte um Sylvie und Konrad wie auch die Erfahrungsschätze der Anderen als facettenreiche Schilderung aus dem realen Leben angelegt und kommt ganz ohne selbstmitleidige Untertöne aus. Eher findet sich eine Art Trotz zwischen den Zeilen, wo dann schon mal eine flotte Rentnerin in Leggins und High-Heels notfalls einen Bänderriss riskiert, wenn sie mit jüngeren Freundinnen in die Disco geht, oder wenn der letzte Wunsch am Totenbett mit einem Striptease erfüllt wird.

Diese charmante Tragikomödie ist eine Art Bekenntnis zum Älterwerden und das gipfelt in der Feststellung, dass Alter und Jugend eigentlich untrennbar sind. Und wenn die Wissenschaft einer "regenerierenden Albernheit" eine positive gesundheitliche Wirkung zuspricht, so folge man dem Hinweis, zu der Jutta Voigts weise Erkenntnis passt, dass in Matinee, Nachmittags- und Spätvorstellung oft derselbe gute Film läuft.

 

# Jutta Voigt: Spätvorstellung. Alter schützt vor Jugend nicht; 252 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin; € 17,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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