INGRID NOLL: "ÜBER BORD"

Kaum eine Krimi-Autorin lässt so beiläufig und als seien es alltägliche Verrichtungen das ein oder andere Verbrechen in ihre trotz allem irgendwie recht lebensnahen Romane einfließen. Das gilt auch bei ihrem jüngsten Werk "Über Bord", wo schon der Titel ahnen lässt, dass jemandem eine vielleicht nicht ganz freiwillige Seebestattung zuteil wird.

Zunächst jedoch geht es um ein etwas verzwicktes Familientableau, das die Autorin mit genüsslich praktizierter Ironie vorstellt. Da lebt in einer idyllischen aber heruntergekommenen Villa die betagte Hildegard mit ihrer Tochter Ellen und deren 24-jähriger Tochter Amalia. Ellen ist bedrückt, denn zu den Geldsorgen kommt die Trostlosigkeit des öden Jobs beim Einwohnermeldeamt und als geschiedene Frau "mittleren Alters" erscheint die Zukunft auch beziehungsmäßig eher grau.

Bis da unversehens ein attraktives Mannsbild vor der Tür steht. Doch dieser Gerd Dornfeld ist nicht zum Flirten gekommen, sondern stellt sich als ihr angeblicher Halbbruder vor. Erst nach DNA-Tests steht fest, dass er die Wahrheit sagt. Allerdings kommt nun heraus, dass nicht nur Ellens Vater sondern auch Mutter Hildegard so ihre dunklen Geheimnisse hatte. Dementsprechend wird das wegen Gerd einberufene Familientreffen mit den weiteren Geschwistern und Kindern eine recht peinliche Angelegenheit.

Zur Entschädigung für all den Ärger lädt der forsche Gerd Ellen und Amalia zu einer Kreuzfahrt ein, seine Ehefrau Ortrud wird ebenfalls dabei sein. Damit geht es für zwei Wochen mit der MS "Rena" ins Mittelmeer, wo schließlich quasi ganz nebenher der von Ortrud mal geäußerte Wunsch nach einer Seebestattung auf unerwartete Weise seine Erfüllung zu finden scheint. Und eine spezielle Art von Edelmut soll auch eine Rolle dabei gespielt haben.

Man ahnt es als Kenner: einer stirbt immer und das Ganze ist durchzogen von diesem herrlich unterschwelligen schwarzen Humor. "Über Bord" ist sicher nicht der beste aller Noll-Krimis, aber ein fein konstruiertes spannendes Lesevergnügen mit herrlichen Charakterzeichnungen ist es allemal. Und natürlich wieder eine hervorragende Filmvorlage.

 

# Ingrid Noll: Über Bord; 332 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 21,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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