STEFAN MERRILL BLOCK: "AUFZIEHENDES GEWITTER"

In seinem Debütroman "Wie ich mich einmal in alles verliebte" thematisierte US-Autor Stefan Merrill Block die Alzheimer-Erkrankungen, die in seiner Familie eine traurige Tradition haben. Doch auch in seinem neuen Roman "Aufziehendes Gewitter" fließt wieder so viel real Geschehenes ein, dass man ihn wohl nicht zu Unrecht als Non-Fiktion bezeichnen darf.

Diesmal ist es die nur teilweise verfremdete Geschichte seiner Großeltern, wobei Katharine Merrill im Alter dem Morbus Alzheimer anheim fällt und vieles dafür spricht, dass sie ihr eigenes Ende in einem lichten Augenblick selbst herbeigeführt hat. Die zentrale Figur aber ist Frederick Francis Merrill, der schmucke charmmante Marineoffizier, den seinen manisch-depressiven Schübe eines Tages in die Psychiatrie bringen.

Niemand scheint seine sich verstärkenden Eskapaden und heftigen Stimmungsschwankungen einordnen oder gar verstehen zu können - auch er selbst nicht. Nicht einmal Gattin Katharine, die ihn innig und unverbrüchlich liebt - sie hält ihn zunehmend für einen Säufer und Ehebrecher. Was schließlich zu einer fatalen Kette von höchst unglücklichen Entwicklungen führt, mit bitterem Ende für beide. Als er 1962 auf offener Straße verhaftet wird, weil er im besoffenen Kopf einigen älteren Damen das nackte Hinterteil gezeigt hat, will man ihm einen Prozess erspraren und bringt ihn stattdessen in das private "Mayflower Home for the Mentally Ill" in der Nähe von Boston.

Block erzählt nun, wie dieser "Verrückte" seine Freiheit verliert, denn von nun an kann er über nichts mehr selbst entscheiden - schon gar nicht über ein Ende seiner Unterbringung in dieser geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Und Katharine belässt ihn dort, weil sie seine Exzesse und Eskapaden bei aller Liebe nicht mehr aushält. Sie meint es ja gut und schließlich handelt es sich um eine gute teure Privatklinik, in der er nicht unter körperlichen Torturen oder ominösen operativen Eingriffen leiden muss.

Die erhoffte Hilfe und Besserung bleibt dennoch aus und auch Frederick wird zum Versuchskaninchen diverser Psychiater, ohne dass ihm wirklich auch nur Linderung zuteil wird. Es geht unter die Haut, was dieser hilflose Mann hier erlebt und mit ihm etliche andere geistig hochstehende oder auch künstlerisch begabte Männer. Zugleich wird offenbar, wie sehr Fredericks vermeintlicher Wahnsinn für die gesamte Familie zum belastenden Makel wird. Dies um so mehr, als Gattin Katharine ihn weiterhin verzweifelt liebt.

Autor Block betont im Nachwort, dass diese so bewegende Geschichte die tatsächlichen Hergänge nur fiktional verarbeitet. Doch immerhin hat er für die Schilderungen unter anderem viele alte Briefe der Großeltern studiert und mit Freunden der Familie gesprochen und es entstand dabei eine einzigartige Melange aus Erinnerung, Nacherfindung und biografischen Erkenntnissen. Die hier so eindrucksvoll beschriebene Klinik gleicht im Übrigen dem bekannten McLean Hospital, das solch berühmte "Fälle" wie den Soulsänger Ray Charles oder den Kultautor David Foster Wallace beherbergte.

Block erzählt das Alles ruhig und souverän in feiner Prosa, wobei der Anstaltsalltag mit all seinen illustren Protagonisten auf beiden Seiten zwar auch humorvolle Anklänge aufweist, insgesamt jedoch mehr an die aufwühlenden Umstände erinnert, wie sie im Kultroman "Einer flog übers Kuckucksnest" so unvergesslich aufregten. Fazit: samt seiner ungewöhnlichen Liebesgeschichte der Großeltern ein exzellentes Stück Literatur zu einem leider immer aktueller werdenden Thema.

# Stefan Merrill Block: Aufziehendes Gewitter (aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren); 376 Seiten; Piper Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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