ALEX GILVARRY: "BEKENNTNISSE EINES FRIEDFERTIGEN TERRORISTEN"

Boyet "Boy" Ruben Hernandez wird 1977 in eine katholische Mittelklassefamilie in einem der besseren Stadtteile Manilas hineingeboren. Schon früh zeigt er Leidenschaft und Talent für Farben, Design und Mode. Seine Götter heißen denn auch Coco, Yves und Karl (Lagerfeld, nicht Marx!). Im Jahr 2002 folgt er dann auf den Spuren seines Landsmannes Phillip Tang nach New York City.

Wie der nur 1,55 Meter große Filipino hier einen schier unglaublichen Aufstieg als Mode-Guru schafft und plötzlich aus heiterem Himmel in einer winzigen Zelle in Guantanamo landet, das erzählt Alex Gilvarry in seinem Debütroman "Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen". Wobei man sich als Leser immer wieder fragt, wie viel hier Wahrheit und wie viel Fiktion ist einschließlich all der erläuternden oder korrigierenden Fußnoten und dem Nachwort des Modejournalisten Gil Johannessen.

Boy jedenfalls erzählt selbst und das sind Memoiren, die er in seiner absurden Gefangenschaft verfasst hat. Die aber lesen sich mit ihrem seltsam naiven, oft aber auch sarkastischen Humor wie eine faszinierende Satire. "Ich liebe Amerika, das goldene Miststück", stellt er gleich zu Beginn klar, um zugleich zugeben zu müssen, dass dies die Geschichte einer unerwiderten Liebe ist und leider auch bleiben wird. Dabei lässt sich alles so gut an, seien es die Flirts, sei es das Bohème-Leben mit all den Verrücktheiten der Modebranche.

Wäre da nur nicht dieser pakistanisch-kanadische Ahmed, ein ebenso schmieriger wie aufdringlicher Stoffhändler, Boys Nachbar, dem das gesamte Erdgeschoss des Brooklyner Mietshauses gehört. Der Aufschneider lügt zwar offenkundig gern, doch er hat anscheinend einen Narren an dem kleinen Modekünstler gefressen, denn er verschafft ihm durch eigene Aufträge für teure Kleidung Geld und den Einstieg ins Geschäft.

Um so heftiger erschrickt Boy, als Ahmed dann als Mitglied des arabischen Terrorismus inhaftiert wird - er soll Bombenmaterial an somalische Terroristen geliefert haben. Ahmed ein Lügner, ja, aber jemand, der Amerika schaden will?! Bevor sich der völlig unpolitische Mode-Verrückte von dem Schock erholen kann, wird er jedoch selbst mitten in der Nacht von Kräften des Heimatschutz-Ministeriums entführt und erwacht in einer Zelle in der berüchtigten Gefängnisanlage von Guantanamo.

Einzig mögliche Erklärung ist seine Verbindung zu Ahmed und die Hysterie in den Jahren nach 9/11 ist viel zu irre, als dass die terror-fixierten Sicherheitskräfte eine Unschuld des sogleich öffentlich als "Fashion Terrorist" zu ungewollter Berühmtheit gelangte Boy auch nur in Erwägung ziehen würden. Dieser Teil des Buches nun gerät zunehmend zur bissigen Politsatire und man glaubt kaum noch, dass diese "Bekenntnisse" tatsächlich nur ein Roman sind.

Das Alles ist vom Autor, der selbst philippinische Wurzeln hat, so realistisch dargestellt bis hin zu dem ins Englische übersetzten Koran als einzigem Buch für den katholischen Häftling, dass es einen frösteln lässt angesichts dessen, was diesem Mann widerfährt. Welcher Horror hier im Namen und zum Schutze der Freiheit ausgeübt wird - und hier sogar gegenüber einem gänzlich unschuldig ins Visier der Terroristenjäger geratenen Modebesessenen - das erscheint so unglaublich, doch man kennt die Tatsachenberichte...

Fazit: diese ungewöhnliche Geschichte einer unerwiderten Liebe ist eine hinreißend gelungene Realsatire auf Zeiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die erstens in ganz naher Vergangenheit liegen und von denen man zweitens nicht gänzlich sicher sein kann, ob sie denn schon ganz vorüber sind.

 

# Alex Gilvarry: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs und Hannes Meyer); 323 Seiten, Klappenbroschur; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 14,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 859 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de