ERIN MORGENSTERN: "DER NACHTZIRKUS"

Ohne Ankündigung taucht er einfach auf und er ist nur bei Nacht geöffnet, der "Cirque des Rêves", dieser Zirkus der Träume. In seinen fantastischen schwarz-weißen Zelten erleben die Besucher einen einzigartigen Reigen von Illusionen - ohne zu ahnen, dass hinter all dem der Zweikampf zweier uralter Zaubermeister steckt und die vermeintlichen Zaubertricks echt sind.

Aus dieser hinreißenden Idee hat Erin Morgenstern unter dem Titel "Der Nachtzirkus" einen ungewöhnlichen Roman gemacht, der ein fabelhaftes Wunderland eröffnet, das den Leser unweigerlich in seinen Bann zieht. Bei jedem neuen Blick hinter die märchenhaften Kulissen dieses Zirkus, der im viktorianischen London entstanden ist, entdeckt man, dass hier ein unerbittlicher Wettstreit zweier verfeindeter Magier tobt.

Aus keinem anderen Zweck ist der Zirkus einst gegründet worden als für diese bitterernsten magischen Wettkampf. Doch für Prospero und seinen Gegenspieler, dem Mann im grauen Anzug, geht es dabei nicht um ein persönlich ausgetragenes Duell auf den Tod. Vielmehr bildet Prospero seine Tochter Celia dafür in echten Zauberkunststücken aus und der Mann in Grau tut dasselbe mit dem begabten Waisenjungen Marco. Zu gegebener Zeit sollen die beiden Zauberlehrlinge gegeneinander antreten. Nach kaum definierten Regeln, dafür aber mit einem Ausgang, der nur den Besseren überleben lässt.

Mit einem jedoch haben die Altmeister nicht gerechnet - dass sich Celia und Marco rettungslos ineinander verlieben. Verzweifelt ringen sie nun um ihre Liebe und ihr Leben und stellen sich damit gegen die mächtigsten Magier der Welt. Das erinnert durchaus an "Romeo und Julia", nur dass es sich in einer zauberhaften Atmosphäre abspielt, die zudem mit einer unendlichen Fülle von fantastischen Ideen und überaus charmanten Charakteren zu einem majestätischen Gesamtbild wird.

Rätsel über Rätsel und all die magischen Verwicklungen machen diese in einem breiten, farbenfreudigen Erzählstrom ausgebreitete Geschichte zu einem wahrhaft außergewöhnlichen Lesevergnügen. Das wird zudem auch in der deutschen Fassung von einem feinen Sprachzauber gekrönt, wofür Brigitte Jakobeit ein besonderes Lob gebührt. Dass es im Übrigen bereits konkrete Pläne für eine Verfilmung dieses modernen Märchens für Erwachsene gibt, versteht sich wie von selbst.

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)