STEVE STERN: "DER GEFRORENE RABBI"

Bernie Karp ist 15, schwer pubertierend, übergewichtig und verdöst als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in Menphis die Zeit. Eines Tages durchwühlt er auf der Suche nach etwas Speziellem die Tiefkühltruhe im Keller und stößt unter Schichten von Pizzen, Gefrierfleisch und dergleichen auf einen Eisblock, darin eingefroren - ein bärtiger alter Mann.

Das ist der Auftakt zu Steve Sterns schrägem Epos "Der gefrorene Rabbi". Als solcher stellt sich Bernies Fund nämlich heraus, doch die Eltern erklären auf seine Frage nur gelangweilt, das sei eine Art Familien-Talisman, der schon seit langem von Generation zu Generation weitergereicht werde. Dann jedoch geschieht Unvorhergesehenes: ein massiver Stromausfall führt dazu, dass der Eisheilige 120 Jahre nach seiner zufälligen Schockfrostung aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.

Bernie verfrachtet den seltsamen Alten, der da so unverständliches Zeug brabbelt, in das etwas abgelegene Gästehaus der Familie und bringt ihn auf den neuzeitlichen Stand der Dinge. Der einst erzfromme Talmudlehrer lernt begierig, was der Junge ihm per Fernseh-Berieselung alles an sensationell Neuem kredenzt. Im Gegenzug schafft es der Rabbi, den phlegmatischen Teenager für die Familiengeschichte der Karps und sogar für die Mysterien der jüdischen Religion zu interessieren.

Der Alte aber empfindet die US-amerikanische TV-Wirklichkeit als verlockenden Jungbrunnen und nimmt Reißaus, um die Segnungen von Kapitalismus und Freizügigkeit in vollen Zügen zu genießen. Der kauzig-quirlige Rabbi wandelt sich alsbald zum umschwärmten Guru der Erleuchtung samt profitablen Seminaren für kosmische Selbsterleuchtung und ähnlichem Schnickschnack.

In einem zweiten Erzählstrang wird derweil die Geschichte der Karps als Synonym für das jüdische Schicksal von Verfolgung und Auswanderung bis hin zur Assimilation in den USA - teils bis zur Selbstaufgabe - geschildert. Doch auch hier lebt das Geschehen trotz manch tragischer Passagen von dieser hinreißenden Erzählweise als Schelmenroman voller Hintersinn, skurriler Begebenheiten und herrlicher Charakterstudien. Der Tiefkühl-Rabbi und sein Weg aus Polen bis in den Karpschen Vorratskeller werden zum kurzweiligen Epos vor historischem Hintergrund.

Wie all die Figuren von einem Schlamassel in den nächsten geraten, wie der Zauselbärtige sich manch weltlichen Genüssen hingibt, das ist zugleich gespickt mit satirischen Spitzen gegen frömmelnde Juden und naive Christen wie insgesamt gegen die Auswüchse der modernen Zeiten. Und der Roman lebt von diesem jüdischen Witz voller fatalistischem Sarkasmus und absurder Logik. Dabei kommt der großartigen Übertragung durch Friedrich Mader ein großes Verdienst zu, denn wie hier vieles von den jiddischen Original-Dialogen aber auch von manchen amerikanischen Slangausdrücken eingeflossen ist, das gibt dem Roman auch im Deutschen diese ebenso geistreiche wie zwerchfellerschütternde Brillanz.

 

# Steve Stern: Der gefrorene Rabbi (aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader); 495 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 21,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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