IAN McEWAN: SOLAR"

Kann man Sympathien für ein sexbesessenes, verfressenes und höchst egomanes Ekelpaket entwickeln, das bereits die fünfte Ehe vergeigt und sich durch geistigen Diebstahl zu Geld und Ruhm verhelfen will? Das passiert dem schnell gefesselten Leser tatsächlich unweigerlich bei Ian McEwans neuem Roman "Solar", einer brillanten Tragikomödie mit viel Hintersinn.

Michael Beards einziger wirklicher Geniestreich war das sogenannte Beard-Einstein-Theorem, für das er bereits mit 40 den Nobelpreis für Physik erhielt. Jetzt im Jahr 2000 ist er 53, pflegt nur noch die Pfründe seines Ruhms, während er durch Fressgier und zu viel Alkohol Figur und Gesundheit ramponiert hat und aufgrund seiner zahllosen Affären auch die fünfte Ehe mit der jüngeren attraktiven Patrice vor dem Ende steht.

Allerdings erlebt Beard diesmal etwas, das ihn mächtig aufrührt: sie setzt ihm Hörner auf mit dem ungehobelten Handwerker Tarpin. Noch ärger wird es jedoch, als er, der sich eher gelangweilt als wissenschaftlicher Chef eines Forschungsinstituts für Alternativenergien mit dem Klimawandel befasst, einen Ausflug mit Klimaschützern zum Nordpol macht - wobei eine Slapstick-Szene abläuft, die zum Klassiker skurriler Romanszenen zu werden verspricht. Bei der Rückkunft nun trifft Beard daheim einen anderen Liebhaber seiner Frau an und ist wie vom Donner gerührt, denn ausgerechnet einer seiner schnöseligen jungen Assistenten mit allerlei spleenigen Ideen sitzt da in seinem Morgenmantel.

Wie Beard gleich beide Lover der entgeisterten Patrice endgültig aus dem Wege räumt und dennoch als freier unbescholtener Mann davonkommt, das ist ein dramaturgischer Geniestreich, der hier nicht verraten werden soll. Doch dieser Roman lebt nicht nur davon, wie ein alternder Faun sich zunehmend zum Popanz macht, er funkelt zugleich als messerscharfe Satire auf den Wissenschaftsbetrieb. Beard, dem für sich persönlich jeglicher Idealismus wesensfremd ist, verdient satt mit seinen Vorträgen über die Schrecken der bevorstehenden Klimakatastrophe. Nun aber fällt ihm eine geniale, zukunftsweisende Idee quasi in den Schoß: sein so fatal ums Leben gekommener Assistent hat ihm seine ganz eigenen, zuvor als spinnert abgetanen Forschungsergebnisse hinterlassen. Und Beard übernimmt die brillante Ausarbeitung als sein Eigentum und Großes entsteht in der Wüste New Mexicos.

Wie dennoch daraus die sehr persönliche Katastrophe für den Professor heraufzieht, das hat hohen Symbolwert. Dieser Nobelpreisträger Michael Beard in seiner Maßlosigkeit, seiner Gier und Selbstsucht aber auch in seinem desolaten Zustand steht gewissermaßen stellvertretend für den Zustand unserer Welt. Das hat bei aller Satire und allem grantigen Witz einen Hauch von Zynismus dessen, der den Leuten den Spiegel vorhält. Fazit: ein ebenso galliges wie hinreißendes Lesevergnügen auf hohem Niveau. Und warum wohl wächst einem diese wenig sympathieheischende Witzfigur Beard trotz allem so sehr ans Herz....

 

# Ian McEwan: Solar (aus dem Englischen von Werner Schmitz); 405 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 21,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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