PAUL AUSTER: „UNSICHTBAR"

Beziehungen und Identitäten, dunkle Geheimnisse und verbotene Liebe, Lügen, Wahrheit und Schicksal, ja selbst Spionage hat Erfolgsautor Paul Auster in seinem neuen Roman zu einem Erzähllabyrinth verflochten, das den Leser in eine ebenso komplexe wie durchgehend fesselnde Geschichte lockt.

Unsichtbar" heißt der Titel und ein Satz verrät, was damit gemeint sein könnte: „Wer in der 1. Person schreibt, macht sich selbst dabei unsichtbar." Dabei lässt Auster die trotz aller Finessen und Verschachtelungen außerordentlich schnelle Geschichte gleich aus drei Perspektiven erzählen. Hauptfigur Adam Walker – ganz deutlich in vielem ein alter ego – kommt zwar der größte Teil des direkten Erzählens zu, doch es gibt neben einem weiteren Ich-Erzähler in der 3. Person sogar einen wichtigen Part, der durch das Erzählen in der 2. Person eine ungewöhnlich eindringliche Nähe erzielt.

Alles beginnt im Jahr 1967 mit Adam, der als 20-jähriger Poet die Columbia Universität besucht. Er begegnet dem Gastprofessor Rudolf Born und dessen attraktiver Geliebten Margot, beides Franzosen. Der schillernde Born zieht Adam sofort in seinen Bann und macht ihm das verlockende Angebot, ihm eine eigene Literaturzeitung an der Uni zu finanzieren. Als der zuweilen ausrastende Professor verreisen muss, lässt Adam sich von Margot verführen. Born scheint es nichts auszumachen, als er davon erfahrt, doch dann kommt es zu einem schicksalsprägenden Vorfall. Bei einem nächtlichen Spaziergang im Central Park will ein junger Bursch die beiden Männer ausrauben. Born aber händigt ihm nicht sein Geld aus sondern bringt ihn um.

Der erste große Schwenk führt nun zu einem irritierenden Zwischenspiel, als Adam nach Paris reisen will, um den unbehelligt abgereisten Born zur Rechenschaft zu ziehen. Die Wochen bis zur Abreise kommt er bei seiner Schwester Gwyn unter, mit der ihn schon als Pubertierender eine mehr als innige Beziehung verband. Was seinerzeit noch ein „großes Experiment" ohne endgültigen Vollzug blieb, wird jetzt zu einer Art kurzer „unheiliger Ehe" und was Auster hier an erotischer Prosa schreibt, ist von exquisiter Qualität und erfrischend unverbraucht im Vergleich zu einschlägigen Meistern wie Philip Roth und John Updike, aber durchaus von ähnlicher Meisterschaft.

Die Szene wechselt nach Paris, wo Adam im Bemühen, seine Selbstvorwürfe durch einen naiven Racheakt an Born zu lindern, kläglich an dem diabolischen Professor scheitert. Und einen Wechsel gibt es auch beim Erzähler, denn nun schreiben wir das Jahr 2007 und es berichtet Jim Freeman, ein Freund Adams aus Studententagen. Ihm hat der Todkranke ein Manuskript hinterlassen, in dem er seine Pariser Erlebnisse schildert. Es ist eine Art Lebensbeichte – oder ein letzter Romanversuch nachdem Adam seinerzeit von der Kunst gelassen hat und Armenanwalt geworden ist?!

Doch dem von Zweifeln über die Behandlung der äußerst offenen Schilderungen geplagten Erfolgsautor Freeman geht auch ein Tagebuch von jener Celine zu, die 1967 in Paris erfolglos in Adam verliebt war und fast die Stieftochter Borns geworden wäre. Sie bringt die Ahnungen über diese unheilvolle Figur zu einem erhellenden Ende. Sofern man dieser erneuten Geschichte in der Geschichte ganz trauen mag, denn doppelbödiger hat der für seine genialen Vexierspiele berühmte Autor nie geschrieben. Wo ist das Erzählte real, wo ist es Buch im Buch oder gar Halluzination?

Mit vollendetem Sprachzauber legt Paul Auster eine mit spielerischer Leichtigkeit entworfene intellektuelle Herausforderung vor, die gleichwohl eine wahrhaft filmreife Handlung umfasst und zugleich authentisch wie selten zuvor wirkt. Fazit: ein grandioser Roman und ein Stück Spannungsliteratur vom Edelsten.

 

# Paul Auster: Unsichtbar (aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz); 316 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek;

19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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