BASTIENNE VOSS: „MANN FÜR MANN"

Man weiß ja, dass vor allem die Frauen in der DDR erheblich unkomplizierter in Sachen Sex waren als ihre West-Schwestern. Bastienne Voss, selbst gebürtige Ost-Berlinerin, hat daraus vor dem Hintergrund der Jahre um 1989 eine Art ostdeutschen Entwicklungsroman gemacht. Es mag dabei offen bleiben, inwieweit eigene Erfahrungen in die Geschichte dieser Sibylle Augustin eingeflossen sind, auf erfrischend offene Weise klingt es jedenfalls sehr authentisch.

Mann für Mann" lautet der Titel und tatsächlich erzählt die Autorin und Kabarettistin Sibylles Werdegang von der frustrierten Internatsschülerin bis zur Provinzschauspielerin mit den jeweiligen Partnern als kleinen oder größeren Meilensteinen. Eingangs leidet sie unter den primitiven Umständen des Internats in einem Kaff im Harz, wo Clemens, Sänger eine Dorfkapelle, ihr allenfalls die Langeweile ein wenig vertreibt, während dem verklemmten Sowjet-Soldaten Igor nicht mal das gelingt.

17 ist sie zu dieser Zeit, die Eltern sind geschieden und als gestandene Künstler mit Reise-Status irgendwie ignorant bis arrogant. Sibylle träumt selbst von einer Karriere als Schauspielerin und Sängerin, ist politisch völlig desinteressiert und empfindet „ihre" DDR trotz mancher Unzulänglichkeiten auf naive Weise als prima Land. Auf dem Weg zum Ruhm erscheint ihr dann Theaterdozent Hesse der geeignete Helfer zu sein. Dass dieser 39-Jährige der Ex-Liebhaber ihrer Mutter ist und alsbald der ihre, stört sie in ihrer liebenswerten Wurstigkieit kein bisschen.

Hesse entpuppt sich als Prenzlauer-Berg-Bohemien mit allerlei seltsamen Vorlieben, auch in erotischer Hinsicht. Sibylle genießt das unbürgerliche Leben mit ihm und irgendwie verschlafen sie darüber sogar die Wende. Während sich die inzwischen 21-Jährige einfach nur wenig für den politischen Umbruch oder auch nur die Möglichkeiten, in den Westen zu gehen, interessiert, kommt Hesse mit den neuen Verhältnissen überhaupt nicht klar. Es lähmt ihn derartig, dass sich Sibylle bald Jakob zuwendet, einem Regisseur, der im Ost-Fernsehen eine gewisse Stellung hatte und nun von tollen neuen Perspektiven künstlerischen Schaffens träumt, bei denen er auch Sibylle große Karrierechancen einräumt.

Sie lässt sich sogar auf eine Heirat mit Jakob ein, der sich bald erstaunlich spießig gebärdet. Wie sie ohnehin immer mehr den Eindruck bekommt, dass die Wende all die großen Stenze zu verunsicherten Schlappschwänzen gemacht hat. Sibylles kleine Odyssee durch manche Bettgeschichten, deftigen Alkoholkonsum und stets vor dem authentisch geschilderten Hintergrund der DDR- und Wenderealität wirkt politisch subtil und erhellend, gerade weil das waschechte Ost-Gewächs so unpolitisch daherkommt und daran leidet, wie mit dem realsozialistischen Staat auch ein Stück miefig sichere Heimat abhanden gekommen ist.

Fazit: ein durchaus deftiges Lesevergnügen mit zuweilen schnoddrigem Humor, das Ost-Befindlichkeiten auf treffsichere Weise verständlich macht, ohne in falsch verstandener Ostalgie zu schwelgen.

 

# Bastienne Voss: Mann für Mann; 249 Seiten; Piper Verlag, München; € 16,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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