LISA SEE: „TÖCHTER AUS SHANGHAI"

Man schreibt das Jahr 1937 und die Schwestern Pearl und May Chin führen ein angenehmes privilegiertes Leben der besseren Gesellschaft im quirligen Shanghai, damals gerühmt als das Paris Asiens. Anders als ihre in traditionellen Lebensweisen verhafteten Eltern genießen sie die Nächte mit Flirts und Parties, verschlafen die Tage und verdienen sich ein Zubrot als gut bezahlte 'Kalender-Mädchen', den Models jener Zeit.

Wie dieses sorglose Leben, das die etwas ältere Pearl als Ich-Erzählerin ganz aus der jeweiligen Lebenssituation schildert, ein jähes Ende findet, daraus entwickelt Erfolgsautorin Lisa See in ihrem neuen Roman „Töchter aus Shanghai" ein fesselndes Geschichtsbild vor historischem Hintergrund. Doch die erste Erschütterung des unbeschwerten Daseins erfolgt noch aus familieninternen Verwicklungen heraus, als ihr geliebter Vater den Beiden verkündet, er habe sie als Bräute an zwei Brüder vermittelt, die es in Amerika zu Wohlstand gebracht hätten.

Zu ihrem Schrecken müssen die Mädchen erfahren, dass der Baba das gesamte Familienvermögen verzockt hat. Die eigenwilligen Töchter lassen sich zwar auf die Eheschließungen ein, dann jedoch besteigen sie einfach ihr Schiff nach Amerika nicht. Um dann allerdings den ganzen Ernst der Lage erkennen zu müssen, denn die Gläubiger des Vaters gehören zu einem skrupellosen Gaunersyndikat. Bevor sie deren Forderungen Folge leisten und doch noch abreisen können, bricht die große Jahrhundertkatastrophe in Gestalt der japanischen Invasoren über Shanghai herein und die „Zwergbanditen" gehen mit äußerster Grausamkeit und Unbarmherzigkeit vor.

Auf ihrer Flucht findet ihre Mutter den Tod und auch die Mädchen bleiben nicht verschont von den Vergewaltigungen der Soldateska. Mit viel Mut und List gelingt den Beiden dennoch das Entkommen in die rettenden USA. Aber auch dort gibt es für die traumatisierten jungen Frauen im vermeintlich sicheren Hafen erst einmal die entwürdigenden monatelangen Überprüfungsprozeduren des Lagers für chinesische Immigranten auf Angel Island in der San Franciso-Bucht.

Pearl und May müssen lernen, dass sie als Chinesen voller Ressentiments betrachtet werden und erst 1943 erging das Gesetz, das auch Chinesen die Erlangung der US-Staatsbürgerschaft ermöglichte. Für die Schwestern aber bleibt auch der weitere Lebensweg wenig erfreulich. Als durch arrangierte Ehen in die Familien gekommene Frauen stehen sie auf niedriger Stufe und in China-Town erwartet sie zum schmerzlichen Gefühl von Entwurzelung und Ausgrenzung harte niedere Arbeit und es soll noch sehr lange dauern, bis sie Grund unter den Füßen finden.

Lisa See hat diesen leidvollen Weg der Mädchen aus der heiter-trivialen Schickeria durch die dramatischen Umbrüche in ein beschwerliches Schicksal ebenso spannend wie glaubhaft beschrieben. Dazu verwebt die selbst chinesisch-stämmige US-Autorin die chinesischen Traditionen mit viel Zeit- und Lokalkolorit sowie den Taumel des barbarischen Krieges und den selten geschilderten Verhältnissen der eingewanderten Chinesen und ihrer Probleme in der fremden neuen Heimat. Fazit: ein bewegendes Epos, packend erzählt mit vielen stark gezeichneten Charakteren.

 

# Lisa See: Töchter aus Shanghai (aus dem Amerikanischen von Elke Link und Andrea Fischer); 446 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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