ANDRE DUBUS III: „DER GARTEN DER LETZTEN TAGE"

Wie westliche Dekadenz und islamistischer Fundamentalismus aufeinanderprallen und in der Katastrophe des 11. September 2001 ein Fanal setzen, das nicht nur Amerika in seinen Grundfesten erschütterte, das fasst Erfolgsautor Andre Dubus III in seinem Roman „Der Garten der letzten Tage" in einem funkelnden Gemälde auf einzigartige Weise zusammen. Beinahe ist es eine private Geschichte einer Gruppe sehr unterschiedlicher Menschen und dennoch nicht nur deshalb exemplarisch, weil einer der Protagonisten bald schon in die Türme des World Trade Centers fliegen wird.

Am Anfang steht die Tänzerin April, die in Florida im Puma-Herrenclub unter dem Künstlernamen „Spring" mit so viel Stil und Klasse ihre Striptänze bis zur völligen Nacktheit absolviert, dass sie hunderte von Dollars pro Nacht verdient. Auf die sie auch nicht verzichten will, als ihre gutmütige Vermieterin Jean wegen einer Herzattacke ins Krankenhaus muss und als Babysitterin für die dreijährige Tochter Franny ausfällt. Schweren Herzens nimmt April sie mit in den Club und überlässt sie der Obhut von Hausmutter Tina.

Am Rande ihrer Auftritte bekommt April an diesem Abend mit, dass der von seiner ehelichen Misere frustrierte Baggerfahrer AJ Casey eine Tänzerin anfasst und von einem der Aufpasser höchst unsanft rausgeworfen wird. Was ihm nicht nur das Handgelenk bricht, doch seinen eigentlichen schicksalhaften Auftritt hat er erst später. Zunächst aber betritt Bassam al-Jazani den Club, ein hochtrainierter Terrorist, ein schmales Bürschchen aus Saudi Arabien, von blindem fundamentalistischem Eifer und galligem Hass auf die unmoralischen westlichen Sitten beseelt.

Und dennoch von einer unbewussten inneren Verlogenheit getrieben, wenn Allah ihn vor der Lasterhaftigkeit schützen soll und er gleichwohl mit den Taschen voller großer Scheine in den Club geht und erst April und dann zusätzlich noch eine farbige Stripperin in die Champagnerlounge zum Privatauftritt bestellt, die Stunde für 500 Dollar. Dieses seltsame Psychoduell zwischen dem unreifen verklemmten Araber und der kühl berechnend mit ihrem attraktiven Körper arbeitenden Amerikanerin wird zu einem fesselnden Höhepunkt des überaus sinnlichen Romans, denn diese Szenen vibrieren geradezu vor dunkler Spannung und dichter Athmosphäre.

Während Bassam hier das Einsatzgeld für eben jene Sünden verjubelt, die er doch so verachtet, und April gierig die Hunderter einstreicht, geschieht im Haus, was nahezu zwangsläufig passieren musste: Tina achtet nicht auf die kleine Franny und die tappert nach draußen. Wo AJ sie entdeckt, ein dreijähriges Mädchen im Pyjama, weinend und allein in tiefer Nacht an einem Stripper-Club. Selbst in Kummer, weil er sein Söhnchen nach dem Rauswurf seit Monaten nicht mehr sehen darf, geht ein kurzsichtiger Beschützerinstinkt mit ihm durch und er nimmt die Kleine mit.

Mit fatalen Folgen für alle Beteiligten, nur Bassam berührt das alles in der eiskalten Zielstrebigkeit seiner Gruppe von verblendeten Möchtegern-Märtyrern nicht. Um so aberwitziger sind die moralischen Windungen des Anführers und seiner eingeschworenen Brüder in ihrem Tun vor dem großen Tag. So grandios, wie der Autor aus den jeweiligen Blickwinkeln der exzellent gezeichneten Figuren erzählt und damit eine absolut zwingende Sogwirkung erzielt, so grandios stellt er auch die so widersprüchliche Gedankenwelt der Terroristen dar. Und authentisch obendrein, denn es gab „den Ägypter" wirklich und einer kam aus derselben Stadt wie Bassam und das Verhalten der Täter ist realistisch nachempfunden, wobei sich der Countdown der letzten Tage und Stunden bis zum 11. September atemberaubend liest.

Dessen Schilderung selbst ist entbehrlich und schlägt als bloße Nachricht genügend durch. Dennoch ist dies ein Roman zum 11. September und als solcher ein großartiges Stück Literatur, verbindet er doch auf eindringliche Weise die Schattenseiten der amerikanischen Erfolgsgesellschaft mit dem erschreckend banal durchscheinenden Fundamentalismus der Terroristen.

 

# Andre Dubus III: Der Garten der letzten Tage (aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann); 600 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 656 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de