JONATHAN BARNES: „DAS ALBTRAUMREICH DES EDWARD MOON"

Seien Sie gewarnt. Dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert. Es ist ein grässliches, gewundenes, zweifelhaftes Konvolut von Unsinnigkeiten, bevölkert von wenig überzeugenden Charakteren, geschrieben in trockener, öder Prosa, des öfteren lächerlich und gewollt bizarr. Es ist wohl überflüssig, hier anzumerken, dass Sie keiner Zeile Glauben schenken werden." Mal ehrlich, würden Sie solch ein Buch kaufen wollen?

Wenn Sie allerdings Freude am Skurrilen haben und einen virtuosen okkulten Thriller zu schätzen wissen, der mit allerlei Ausgeburten einer schrägen Fantasie ebenso reich gesegnet ist wie mit obskuren Verschwörungstheorien, dann sind Sie richtig bei „Das Albtraumreich des Edward Moon". Jonathan Barnes schickt den Titelhelden darin auf eine Achterbahn der kriminellen und noch schlimmeren Machenschaften und er kann dabei niemandem trauen außer seinem Assistenten, einem stummen milchsüchtigen Giganten von über zwei Meter Größe und ungeheurer Kraft, der statt mit einem Namen nur mit „Schlafwandler" gerufen wird.

An sich ist Moon Bühnenzauberer, doch mit Ende 50 hat er jetzt im Jahre 1901 seine besten Zeiten hinter sich und betätigt sich lieber nebenher als Detektiv. Wegen einiger sehr ungewöhnlicher Morde ruft ihn Insepktor Merryweather zur Hilfe, obwohl er Moon als Besserwisser aber auch wegen verschiedener Erfolge als störend empfindet. Moon und sein Partner tauchen damit ein in die üble Unterwelt Londons und je mehr er aufdeckt, desto ominöser wird der Fall, denn die Morde waren nur Beiwerk zu einer ungeheuren Verschwörung zum Untergang ganz Londons. Die Kräfte, an die Moon gerät, sind mal schaurig hässlich, mal von himmelschreiender Kuriosität.

Da dienen die sogenannten Präfekten, die wie freche Schuljungen auftreten, als gedungene Mördertruppe, Thomas Cribb ist ein Zeitreisender von abschreckender Gestalt, der Albino Skimpole steht im Dienste einer mäßig vertrauenswürdigen staatlichen Sicherheitsagentur und in dem Bordell, in dem sich Moon von Anfällen der Langeweile erholt, arbeiten ausschließlich Damen mit deutlichen körperlichen Deformationen. Das teilweise ausgesprochen unheimliche Kuriositätenkabinett wird jedoch gekrönt vom Geheimbund der Pantisokraten, die nach den Lehren des Dichters Samuel Taylor Coleridge ein Sommerkönigreich errichten wollen. Auf dem Weg zu diesem Ziel ist der Heilsgemeinschaft nun nur noch das real existierende London im Wege...

Aber man erinnere sich an die Eingangswarnung: nichts und niemandem in diesem Buch sollte man Glauben schenken. Und schon gar nicht dem Ich-Erzähler mit seinem süffisant salbadernden Humor tiefster britischer Provenienz. Tatsächlich stellt sich irgendwann mittendrin sehr vieles als ganz anders heraus und irgendwann lässt der Erzähler seine eigene Maske fallen. Verrücktheiten, doppelte Böden und immer neue Überraschungen foppen den Leser bis hin zum dramatischen Finale. Fazit: dieser schräge Cocktail kommt daher als eine Art viktorianischer Groschenroman, geschrieben ist er jedoch als brillantes literarisches Feuerwerk. Freunde exaltierter morbider Geschichten wird er faszinieren, zartbesaitete Feingeister dagegen sollten ihn besser meiden.

 

# Jonathan Barnes: Das Albtraumreich des Edward Moon (aus dem Englischen von Biggy Winter); 400 Seiten; Piper Verlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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