SIGRID DAMM: „GOETHES LETZTE REISE"

Es ist eine Tatsache, dass Deutschlands größter Dichter Johann Wolfgang von Goethe ein Hypochonder und Egozentriker war, der dem Tod derartig panisch auswich, dass er sich sogar schmählich fernhielt, als seine Frau sich tagelang im Todeskampf quälte, und auch seinem Freund Schiller versagte er Besuche am Sterbebett. Wie aber ging dieser Olympier mit dem eigenen Altern und der Gewiss des nahenden Todes um?

Mit einem sensiblen Psychogramm beschreibt Sigrid Damm diesen Weg des Dichterfürsten und nimmt dazu „Goethes letzte Reise" - so auch der Titel dieser biographischen Chronik – im August 1831 zum roten Faden. Mit den Enkeln Walther und Wolfgang fuhr der noch immer Schaffensfrohe nach Ilmenau in Thüringen, das er als sein Arkadien bezeichnete. Immer wieder hatte er die Bergbaustadt besucht, die ihn gleich beim ersten Aufenthalt 1776 entzückt hatte und wo er sich mit seinem Meistergedicht „Über allen Wipfeln" verewigte.

Doch die Goethe-Expertin berichtet weit mehr als nur von dieser Reise anlässlich des 82. Geburtstages. Da sind die Rückblicke auf den Werdegang des Universalgenies, vor allem aber auch die früheren Jahre des späten Goethe mit manch peinigenden Erlebnissen. Er ist nicht nur von allgemeinen Gesundheitsproblemen geplagt, es kommt zu jener schmerzlichen erfahrung, die zu den „Marienbader Elegien" führt: mit 72 Jahren verliebt er sich unsterblich in die erst 19-jährige Ulrike von Levetzow und stürzt in eine schwere Altersdepression, als diese ihn nicht erhört.

Und mit 80 schließlich ein echter Schicksalsschlag, als sein halb so alter Sohn August in Rom stirbt. Die Autorin beleuchtet hier sachlich das schwierige Verhältnis der Beiden zueinander und die insgeheime Enttäuschung Goethes über sein einziges Kind. Um so auffälliger ist die großzügige Zuneigung zu den drei Enkelkindern und die große Fürsorglichkeit, mit der der alte Mann sich um die Sicherung der Familie kümmert. Erstaunlich sind dabei die peniblen Nachlassregelungen, während er andererseits immer wieder erstaunte Freude äußert, wenn ihm wider Erwarten Dinge noch vergönnt sind wie die Fertigstellung des „Faust II".

Am meisten überraschen jedoch die eindeutigen Zeugnisse seiner Gelassenheit gegenüber dem eigenen Sterben und Tod. Dazu beigetragen haben mag die geistige Vereinsamung, die die Autorin in erhellenden Passagen deutlich werden lässt. Bis zuletzt von Familie und Freunden umgeben, empfindet er den Wertewandel im „Zeitstrudel" des neuen Jahrhunderts als befremdlich und äußert sogar, dass er Europa den Rücken kehren und ins junge Amerika oder in die Südsee aufwandern würde, wäre er noch jung genug dafür.

Man muss Goethe nicht mögen, um von diesem Buch über sein Altern und Sterben gefesselt zu sein. Er war ein Großer und das bis zuletzt und er selbst gibt das Fazit seiner letzten Reise vor: „Nach so vielen Jahren war denn zu übersehen: das Dauernde, das Verschwundene. Das Gelungene trat hervor und erheiterte, das Misslungene war vergessen und verschmerzt."

 

# Sigrid Damm: Goethes letzte Reise; 364 Seiten; Insel Verlag, Frankfurt; € 19,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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