THOMAS HETTCHE: „WORAUS WIR GEMACHT SIND"

Einen Thriller, der zugleich philosophisch und politisch ist, diese vermeintlich unverträgliche Mischung hat Thomas Hettche in seinem neuen Roman „Woraus wir gemacht sind" zu einem virtuosen Stück großartiger Literatur geraten lassen.

Im Mittelpunkt steht Niklas Kalf, der erfolgreich als Biograf arbeitet. Intellektuelle wie er sind meist so wenig sportlich und heldentauglich wie dieser eher unscheinbare 40-Jährige. Als er nun mit seiner Frau Liz zu einer Lesung nach New York kommt, verschwindet die Schwangere über Nacht. Während im Fernsehen Präsident Bush die Vereinten Nationen auf den Irak-Krieg vorbereitet, teilt eine Unbekannte dem verwirrten Kalf telefonisch mit, man habe Liz entführt. Um sie zu retten, muss er lediglich geheime Unterlagen über den 1952 umgekommenen Physiker Eugen Meerkaz herausgeben.

Tatsächlich hat Kalf den Auftrag, eine Biografie über den vor den Nazis geflohenen späteren Mitarbeiter an der Atombombe zu verfassen. Doch wo soll in seinen Unterlagen ein brisantes Geheimnis stecken? In seiner Schockstarre flüchtet er ins texanische Kaff Marfa im menschenarmen Trans-Pecos, der einzigen kleinen Spur zu Meerkaz' Geheimnis. Allerdings wird Kalf nun nicht zum Helden aus Verzweiflung, vielmehr verfällt er wochen- und monatelang in Lethargie. Wie der ganze Roman in eine seltsame, fast surreale Starre gerät. Zugleich erliegt Kalf dem gefährlichen Wunsch, in dieser faszinierenden Fremdheit heimisch zu werden als jemand, der ein Land liebt, ohne es eigentlich zu kennen.

Um so rasanter wird das Geschehen, als Kalf auf vage Hinweise stößt, die sich um die Entwicklung eines Raketenmotors und alte, obskure Partner des Wissenschaftlers drehen. Der zum Helden so ungeeignete Kalf wird nun quasi in diese Rolle hineingeschubst und kommt darin fast um, entwickelt aber in seiner Naivität gegenüber der überall schlummernden Aggressivität dieser Neuen Welt zähe Überlebenstechniken, die bis zum Mord reichen und in einem dramatischen Finale gipfeln. „Woraus wir gemacht sind", nur das hatte den Biografen urpsrünglich interessiert, am Ende sagt er sich, dass es nicht mehr ist als ein Hauch.

Dieser in seinen ruhigen, fast schleppenden Passagen ebenso fesselnde Roman wie in den thrillermäßigen lebt nicht zuletzt vom Amerika-Blick aus deutscher Sicht. Die USA als ein Land der Leichtigkeit, der Schönheit und der Weite wie auch der Abgründe und dunklen Seiten, das ist grandios dargestellt und gekrönt von exzellenten Metaphern und Landschaftsbeschreibungen. „Ich bin in eine Geschichte geraten, von der ich nahezu nichts weiß", schaudert es Kalf. Thomas Hettche hat daraus mit großer Sprachgewalt ein Meisterwerk entstehen lassen.

 

# Thomas Hettche: Woraus wir gemacht sind; 320 Seiten; Kiepenheuer & Witsch, Köln; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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