EDWARD O'DONNELL: "DER AUSFLUG"

Am 15. Juni 1904 ereilte die Stadt New York die schlimmste Katastrophe vor den Anschlägen vom 11. September 2001, als auf dem Schaufelraddampfer "General Slocum" ein Feuer ausbrach, dem rund 1000 Menschen zum Opfer fielen. Dieses nahezu vergessene Unglück löschte zugleich den Stadtteil Little Germany aus, denn die Nachwirkungen entvölkerten das einwohnerstarke Viertel, weil viele Hinterbliebene das Weite suchten.

Der Historiker Edward O'Donnell hat das Ereignis und seine Hintergründe nun untersucht und das überaus spannende Sachbuch "Der Ausflug. Das Ende von Little Germany, New York" verfasst. Danach machten die Habgier der Reederei, unglaubliche Fahrlässigkeiten sowie eine fatale Verkettung von Fehlentscheidungen und die Feigheit der Mannschaft eine gefährliche Krise zu einem Desaster mit grauenhaftem Geschehensablauf. Als ein Junge dem Matrosen Coakley Rauch meldet und der unerfahrene Seemann ein noch kleines Feuer in einer Abstellkammer entdeckt, steuert der mit 1300 fröhlichen Ausflüglern der St. Mark's Lutheran Church unter blauem Himmel den East River hinauf nach Long Island zu einem Picknick.

Kerosinkanister, Ölkannen und vor allem in Stroh verpackte Krüge befinden sich verbotenerweise in der Kammer und Coakley begeht den schicksalhaften Fehler, die Tür nicht wieder zu schließen, als er Hilfe holen will. Schon der erste Löschversuch scheitert, denn die noch nie benutzten Wasserschläuche sind marode und brechen. Weitere Versuche unterbleiben, als sich die Flammen nun rapide ausbreiten. Die Mannschaft hat noch nie eine Brandübungen gemacht und denkt nur an die eigene Rettung, als nun umgehend Panik ausbricht.

Die zahlenmäßig ausreichenden Schwimmwesten stammen noch von der Jungfernfahrt des Schiffes vor 13 Jahren und reißen mehr Menschen in den Tod als sie retten, weil der Kork längst zerbröselt ist und sich sofort vollsaugt. Die noch nie bewegten Rettungsboote erweisen sich als mit Draht festgezurrt und zuguterletzt beschließt Kapitän Van Schaick, das bereits lichterloh brennende Schiff mit Höchstgeschwindigkeit zur North Brother Insel fahren zu lassen, um es dort auf Grund zu setzen. Der Fahrtwind aber facht das Feuer noch mehr an und die Anlandung misslingt weitgehend.

Der Autor beschreibt herzzerreißende Szenen vom schrecklichen Tod von über 1000 Menschen, unter ihnen vor allem viele Mütter und ihre Kinder. Wer den Sprung ins kalte Wasser wagt, geht meist schnell unter, denn nur wenige können zu jener Zeit schwimmen. Zugleich gibt es heldenhafte Rettungstaten, allen voran die von Jack Wade, der mit seinem Schlepper und sechs Mann Besatzung 155 Menschen rettet. Nach dem nur 20 Minuten dauernden Inferno setzt alsbald die Empörung im Land ein, als die Vertuschungsversuche der Reederei auffliegen und zusammen mit den Korruptionen der Aufsichtsbehörde zum Skandal werden. Präsident Theodor Roosevelt leitet eine Untersuchung ein, die zu weitreichenden historischen Änderungen im Seerecht führen.

Doch während Hinterbliebene verzweifelt den Freitod suchen oder New York verlassen, wird der wegen grober Fahrlässigkeit zu zehn Jahren Haft verurteilte Kapitän nach fünf Jahren begnadigt und das Verfahren gegen den verantwortlichen Reeder sogar eingestellt. Autor O'Donnell schildert das Alles fesselnd mit viel Zeit- und Lokalkolorit und auf der Grundlage exzellent recherchierter Fakten.

 

 

# Edward O'Donnell: Der Ausflug. Das Ende von Little Germany, New York (aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld); 420 Seiten, div. Abb.; marebuchverlag, Hamburg; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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