UTE SCHNEIDER: "DIE MACHT DER KARTEN"

Karten, also Land- und Weltkarten, hatten und haben stets auch eine wichtige ordnende Funktion bis hin zur Festlegung einer Weltordnung. Welch wichtigen, wenngleich oft genug durchaus nicht objektiven Einfluss die Karten auf das jeweilige Weltbild vor allem der Mächtigen hatte, zeigt Ute Schneiders opulenter Textbildband "Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute."

Wie sehr heilsgeschichtliche Kriterien mittelalterliche Karten prägten und für den uns geläufigen topographischen, gegraphischen oder auch politischen Zweck quasi untauglich sein ließen, beweist die Historikerin der Technischen Universität Darmstadt u.a. am Beispiel der Ebstorfer Weltkarte aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Jerusalem bildet da den Mittelpunkt der abgebildeten Welt und für Reisende wäre diese Karte nicht nur wegen ihrer riesenhaften Größe völlig unnütz gewesen.

Den Übergang von der mittelalterlich-symbolischen zu einer realen geographischen Raumdarstellung belegt am sinnfälligsten die Karte des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440-1515). Es ist die Zeit der Entdecker und Weltumsegler und die benötigten "richtige" Karten. Die Autorin zeigt, wie sich die Anforderungen an gutes Kartenmaterial und die vielen neuen Erkenntnisse und Entdeckungen der Seefahrer wechselseitig bedingten und zu immer genaueren Ergebnissen führten. Die Perfektion nahm zu, doch zugleich kosteten seefahrttaugliche Atlanten viel Zeit zur Herstellung und dementsprechend auch große Summen.

Welch immense machtpolitische Bedeutung in den Kartenwerken steckte, belegt jener Vertrag von Tordesillas von 1494, nur zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Columbus. Ohne die konkreten Ausmaße des neuen Kontinents auch nur zu erahnen, legten Spanien und Portugal per Einteilung auf ihren unvollständigen Weltkarten die Aufteilung der neuen Landmasse unter sich fest. Und gerade die späteren Kolonialmächte schufen anhand der aktuell vorhandenen Kartenwerke die jeweils geltende Weltordnung.

Wie mit schlichten Strichen auf Land- und Weltkarten Politik gemacht und Macht ausgeübt wurde – und dies häufig mit Auswirkungen bis in die Gegenwart – das belegen jene von den Weltmächten im 19. und 20. Jahrhundert nach eigenem strategischen Kalkül gezogenen Grenzlinien in Afrika. Das führte zwar zu klaren geographischen Verhältnissen, historisch gewachsene ethnische Gebilde aber blieben dabei unbeachtet und wurden teils dauerhaft und mit schmerzlichen Folgen zerschnitten.

Die Autorin erhellt mit einer Fülle großformatigen, farbenprächtigen Kartenmaterials und ebenso spannenden wie fundierten Darlegungen, wie die Welt mittels der Kartographie immer wieder ein neues Bild in den Köpfen erhielt und sich der Wandel von Weltsichten wie auch von Machtverhältnissen darin ablesen lässt. Ein wunderbares Fachwerk für jeden geschichtlich Interessierten.

 

# Ute Schneider: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute; 144 Seiten, ca 80 farbige Abb., Großformat; Primus Verlag, Darmstadt; € 39,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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