JULIAN RATHBONE: "QUERUBIN ODER DER LETZTE KASTRAT"

"Querubin oder Der letzte Kastrat" von Julian Rathbone ist ein höchst ungewöhnlicher Roman und schon der Einstieg von solch grandioser Vielfalt, dass bereits das erste Kapitel den meisten Autoren für ein halbes Buch gereicht hätte. Da leistet die junge deutschstämmige Sängerin Petra von Stürm dem weltberühmten und jetzt mit 72 Jahren todkranken Kastratensopran Querubin Sterbehilfe. Der Meister hatte ihr einige Jahre Ausbildung im barocken Kastratengesang erteilt.

Doch ihre Beziehung geht weit über das hinaus, denn Petra hatte nach dem Tod ihrer Mutter eine überaus enge Bindung an den Vater, einen leidenschaftlichen Musiker. Und nach einem Konzert des von ihr mit Inbrunst verehrten Querubin kommt es zu zwei schicksalhaften Ereignissen. Erst schwört sie, Querubins Nachfolgerin zu werden und in derselben Nacht verführt die 15-Jährige ihren Vater. Es folgen Schwangerschaft und Abtreibung und danach bringt sich der streng katholische Vater um. Neun Jahre braucht Petra dann, um endlich von Querubin in dessen südspanischer Villa als einzige Schülerin ausgenommen zu werden.

Er ist bereits 69 und ein strenger Lehrer von seltsamer Melancholie, allmählich aber entsteht ein subtiles Vertrauensverhältnis zu dem mysteriösen Künstler, dessen seltsames Schicksal sie ähnlich fesselt wie den Leser. Mit 14 oder 15 wurde seine engelsgleiche Stimme in einem Kloster entdeckt und die Mönche geben ihm seinen neuen Namen. Einen Monat zuvor war er kastriert worden und alles Davorliegende weiß er nicht mehr. Nun beginnt er zu erblinden, ohne erkennbaren Grund. Sind es Folgen jener Fantasien, als die ein Psychoanalytiker seine vermeintlichen Erinnerungsbruchstücke nach einem Zusammenbruch hingestellt hat? Woher kommen diese Bilder einer innigen inzestuösen Beziehung zur schönen Mutter? Und jene falschen Daten einer Flucht aus Madrid, während im Sommer 1936 der Bürgerkrieg beginnt?

Petra, die ihm in so vielem seelenverwandt ist, versucht alles, um aus alten Unterlagen, aus Büchern über die Wirren des Bürgerkrieges und durch Befragen von Zeitzeugen, das Geheimnis seiner Vergangenheit für ihn zu lüften. Ob es ihr gelingt zu beweisen, dass seine Fantasien echte Erlebnisse waren, die durch die persönliche Katastrophe ins Unterbewusstsein verdängt wurden?

Der britische Erfolgsautor erstellt ein meisterhaftes Gemälde in prallen Farben mit einzigartigen Charakterzeichnungen und kein Strich scheint zu viel. Die Obsessionen und starken Gefühle entwickeln dank einer exzellenten Dramaturgie eine unentrinnbare Sogwirkung. Zugleich ist das Werk von hoher Sinnlichkeit geprägt und das nicht nur wegen all der Kunstwerke, Düfte, Speisen und sonstigen Genüsse, deren Beschreibungen liebevoll eingeflochten werden. Immer wieder knistert es in diesem ebenso hinreißenden wie bewegenden Roman vor Erotik und Dank sei auch der Übersetzerin gezollt, die die elegante Poesie der Sprache vollendet übertragen hat.

 

# Julian Rathbone: Querubin oder Der letzte Kastrat (aus dem Englischen von Michaela Grabinger); 271 Seiten; Europa Verlag, Hamburg; € 17,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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