ALICE SEBOLD: "GLÜCK GEHABT"

Bevor Alice Sebold zur gefeierten Bestseller-Autorin wurde, hatte sie ihr erstes Buch geschrieben, das jetzt verspätet auch hier zu lesen ist. Und das ist gut so, denn "Glück gehabt" ist ein äußerst wichtiges Buch, das zugleich voller Dramatik steckt, behandelt es doch einen authentischen Fall von brutaler Vergewaltigung und der Zeit danach.

Alice Sebold selbst war das Opfer: als Studentin wurde sie am 8. Mai 1981, 18 Jahre alt und noch jungfräulich, im Tunnel eines Amphittheaters nahe ihrer Universität im US-amerikanischen Syracuse unter widerlichen Begleitumständen vergewaltigt und erheblich verletzt. Bei der Polizei sagte jemand zu ihr dann diese unvergesslichen zynischen Worte – sie habe "Glück gehabt", denn an derselben Stelle war vorher bereits ein Mädchen bei einem ähnlichen Überfall sogar zerstückelt worden.

Was folgt, ist der virtuos verfasste Bericht des Opfers und die Hölle, durch die es in der Folgezeit geht. Alice sieht den Täter einige Monate später wieder und sorgt für seine Verhaftung. Vor Gericht folgt die Tortur der peinigenden Zeugenvernehmungen und dennoch – ihr verbissener kämpferischer Einsatz wird belohnt. Der Vergewaltiger erhält die Höchststrafe von 8 bis 25 Jahren Haft. Für die Studentin aber bleibt mehr als einfach nur die grausame Erfahrung, obwohl sie alles dafür tut, um sich aktiv mit dem Verbrechen auseinanderzusetzen. Immerhin geht sie sogar mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit.

Sie beginnt ein neues Leben, versucht es jedenfalls, doch über zehn Jahre lebt sie gewissermaßen neben der Spur. Später stößt sie auf Schriften über das "post-traumatische Stress-Syndrom" und sie findet tatsächlich einen Weg aus ihren alltäglichen Alpträumen. Dann schreibt sie all das eindringlich und auf beklemmende Weise packend in diesem Bericht nieder. Wohl noch nie ist das Thema Vergewaltigung mit all seinen üblen Begleiterscheinungen und Folgewirkungen derartig ungeschminkt, offen und vor allem nach eigenem schicksalhaftem Erleben beschrieben worden wie hier. Ein wahrhaft wichtiges Buch, aber teils nur schwer zu ertragen.