ABINI ZÖLLNER: "SCHOKOLADENKIND"

Wie lebt es sich in der DDR, wenn die Mutter eine echte jiddische Momme und der Vater ein meist abwesender Nigerianer ist? Aus höchst persönlichem Erleben schildert die 1967 in Berlin-Lichterfelde geborene Abini Zöllner ihre Entwicklung und daraus ist ein ebenso vergnüglicher wie aufschlussreicher Lebensbericht geworden. "Schokoladenkind" hat sie ihn genannt und so wie sie vom Cover feixt, hat sie auch mit leichter Hand dem Untertitel "Meine Familie und andere Wunder" viel Lebensbejahendes folgen lassen.

Da offenbart sich ihre Schulzeit in der Hauptstadt der DDR als Realsatire, wobei der Schulalltag dort offenbar in den 70er Jahren noch verstaubter war als im Westen in der Adenauer-Zeit. Abini aber schlängelt sich so durch und notfalls hilft die Mamel mit resolutem Mutterwitz ihrer Tochter. Die will Friseurin werden, obwohl Mamel feststellt: "Du könntest studieren, aber für einen Friseur hast du nicht das Zeug!"

Doch Abini schafft es, wird dann außerdem Revue-Tänzerin im Friedrichstadtpalast und mit 19 Mutter. Ohne den Jugendfreund zu ehelichen. Stattdessen lernt sie bei Aufnahmen zu einem Musikvideo Dirk Zöllner kennen, Rocksänger und ein echtes DDR-Idol. Es wird eine verrückte Beziehung mit vielen Streitereien, die auch nach der Heirat 1988 nicht aufhören. Hatte sie bisher allenfalls mit Neugierde darauf reagiert, dass der inzwischen verstorbene Vater in der DDR und in Nigeria mehrere Frauen und etliche Kinder hatte, erlebt sie jetzt erstmals eine Anmache wegen ihrer Hautfarbe.

Es bricht eine Welt für sie zusammen, als sie bei der Polizei dann sogar die Beschuldigte ist. Diesem "Verrat" folgen 1989 Repressalien gegen die Rockmusiker und es sind spannende Momente des Aufbegehrens und des staatlichen Zusammenbruchs, die die Autorin aus ihrer sehr eigenen Sicht beschreibt. Wobei der 9. November 1989 seine eigene Komik bekommt: mitten im Konzert der "Zöllner" hauen die Zuhörer ab – der Mauerfall spricht sich herum, nur Dirk und Abini Zöllner verschlafen ihn im Sinne des Wortes.

Es folgt die Zeit von Skepsis und Verwirrung. Abini hat inzwischen mit dem vom Vater geerbten Talent das "Handwerk des massenwirksamen Schreibens" erlernt und arbeitet bald als Journalistin für Ostberliner Zeitungen. Spürbar ernster sind nun die Schilderungen des allmählichen Hineingleitens in die 'freie' Welt, begleitet von einschneidenden privaten Veränderungen. Dennoch gelingt der Autorin eine Vergangenheitsbewältigung, die persönlich, leidenschaftlich und dabei zugleich wohltuend sachlich ist. Dieses "Schokoladenkind" ist ein echtes Lesevergnügen und in seiner Art ein einzigartiges Zeitzeugnis, romanhaft bunt und dennoch absolut authentisch.

 

# Abini Zöllner: Schokoladenkind; 255 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 17,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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