JIM KNIPFEL: "BLINDFISCH"

Retinitis pigmenta ist eine unheilbare Augenkrankheit, bei der sich die Zäpfchen und Stäbchen der Netzhaut auflösen. RP tut nicht weh. "Man erblindet nur", stellt Jim Knipfel dazu lakonisch fest. Der junge Amerikaner weiß, von was er da spricht, denn er leidet unter der heimtückischen Krankheit, und er schreibt darüber in verstörender Weise.

"Blindfisch" heißt sein autobiografischer Roman, ein sarkastischer Witz auf eigene Kosten. Dieser herbe, schonungslose Sarkasmus stößt jedoch nicht ab, weil sein Anteil an Selbstmitleid stark unterkühlt bleibt. Hinzu kommt der tiefschwarze Humor, der selbst in makabersten Momenten immer wieder zum Lachen reizt. Wie schon eingangs, wenn Knipfel einen seiner frühen Suizidversuche schildert. Da mäkelt die Dame von der Telefonseelsorge doch tatsächlich an seinem Stil der Vorgehensweise herum. Also Fehlversuch, denn nach dem Frustgespräch ist er einfach zu müde, um an diesem Abend noch etwas zu unternehmen.

Dabei stammt er aus gutem Hause, aber schon von Kindheit an läuft alles verquer. Zudem wird sein Augenleiden viel zu spät erkannt und überhaupt gehört er zu der Spezies Mensch, der immer fast alles schief geht. Das und sein ausgeprägter Hang zu abweichendem Verhalten führen ihn durch eine Endlosfolge von absurdem Theater. Vom ziemlich psychopathischen Kumpel Grinch lernt er außerdem "die billigen und sinnlosen Freuden des Vandalismus" und geistert mit ihm als Anarcho-Partei durch den Uni-Alltag.

Zwerchfell erschütternd tragikomisch dann seine vorübergehende Methode, den Lebensunterhalt durch fast tägliches Blutspenden an wechselnden Orten zu bestreiten. In dieser Zeit zieht er sich durch einen Unfall auch noch ein erst später erkanntes Hirntrauma mit epileptischen Folgen zu. Trotz der beklemmenden Nüchternheit, mit der er die unzähligen Widrigkeiten durch die zunehmende Erblindung beschreibt, spürt man die tiefe Sensibilität und Verletzlichkeit. Da nimmt es nicht wunder, dass ihn selbst eine Morddrohung wenig erschüttert, Hauptsache wenig Schmerzen.

Auch für seine Umgebung ist dieser Jim Knipfel mit seiner "Pennerphilosophie mit viel Sinn für das Absurde" oft nur schwer zu ertragen, dabei gewinnt er bei aller Blindheit immer mehr an unsentimentaler Scharfsichtigkeit. Mitleid und Kümmerer lehnt er weitgehend ab und wenn schon Blindenstock, dann bitte mit silbernem Wolfskopf als Griff!

Inzwischen ist Knipfel Kolumnist bei der "New York Press" und begeistert mit seiner respektlos treffsicheren Art, all die schrägen, aberwitzigen Geschichten des Alltags mit trockener Ironie auf den Punkt zu bringen. Wie eben auch diese grandiose Autobiografie, die im Übrigen eine hervorragende Medizin gegen Depression und Hypochondrie ist.

 

# Jim Knipfel: Blindfisch (aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld); 287 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg; € 19,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: NF 111 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de