MICHAEL KOETZLE: "twen – REVISION EINER LEGENDE"

Eine Studentenwohnung in der Mansarde, ein junges Pärchen unterhält sich, ein anderes knutscht auf der Bettcouch, auf dem Tisch Rotwein, Weißbrot, Käse, Zigaretten und – eine Ausgabe der "twen". Und um die geht es in dem großen Erinnerungsbuch "twen – Revision einer Legende" und diese Szene ist absolut typisch für die Generation der twen-Leser.

Von 1959 bis 1971 gab es diese Illustrierte für junge Erwachsene, die für Zeitgeist in Reinkultur stand, jedoch nie Nachäffer sondern oft genug Trendsetter war. Die Macher kamen aus der Kölner Studentenszene, allen voran Willy Fleckhaus, dessen geniales Layout die visuelle Kultur der 60er Jahre wesentlich prägte.

Das Magazin war der Zukunft zugewandt, frisch, frech, provozierend, optimistisch und stand für Aufbruchstimmung und neue Generation. Man schrieb an gegen verkrustete Moral und Spießbürgermief der ausgehenden Adenauer-Zeit und gab auch eher unpolitischen jungen Leuten Orientierungshilfen und ein Schaufenster zur Welt. Dieses Magazin mit seinen exzellenten Fotos, die Avantgarde waren, mochten junge Frauen ebenso wie junge Männer und man musste dazu nicht "links" sein.

Gegner warfen "twen" die Förderung von zu viel Individualismus vor und im katholischen Lager bekämpfte man das Blatt mit Indizierungsanträgen, denn es sei "gefährlicher als ein Dutzend Aktmagazine". Das machte "twen" ja zu dem, was die Leser liebten: da begeisterten nicht nur die tolle Aufmachung, "twen" eckte auch gern an, scherte sich nicht um Tabus. Das begann im ersten Heft 1959 mit dem damals skandalös freizügigen Bericht "Sechs Mädchen über Sex" und machte auch nicht halt vor vorehelichem Sex, gleichgeschlechtlicher Liebe, Abtreibung und manch schräger Kultur.

"twen" war ohnehin ein Wegbereiter für mehr Freizügigkeit. Da gab es die No-Bra-Welle, 1969 präsentierten schöne junge Frauen stolz ihre Brüste und die Entblätterung fand auch auf den stets exquisiten Covers statt. "twen"-Girls waren dennoch keine Dummchen, vielmehr wurden eher Karrieren intelligenter Frauen wie Nico, Veruschka oder Barbra Streisand gefördert.

Doch so wie "twen" ein Wegbereiter und Begleiter der 68er war, geriet es mit deren Erfolg und dem Anbruch neuer Zeiten – symbolisiert durch Kanzler Willy Brandt – in einen Zwiespalt zwischen ästhetischem Zeitgeist und Hinwendung zur Politik. Die Auflage war zwar bis auf 250.000 angewachsen, dennoch ging das Kult-Blatt 1971 an dieser Entwicklung zugrunde. Spätere Wiederbelebungsversuche scheiterten halbherzig.

Die Sammlung an Artikeln, Fotos, die Reihe von Covers, die Michael Koetzle in diesem Band konzentriert, ist auch deshalb ein Juwel nicht nur für all jene, die mit "twen" erwachsen wurden und hier in eine glänzend gefüllte Schatzkiste von Nostalgie und Zeitgeschichte greifen können. 

# Michael Koetzle (Hrsg.): twen – Revision einer Legende; 325 Seiten, Großformat; div. Abb.; Prestel Verlag, München; 49,80 DM/€ 25,46

WOLFGANG A. NIEMANN  (wan/JULIUS)

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