JOSÉ SARAMAGO: "DAS ZENTRUM"

Mit einem erneuten Meisterwerk beschließt der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago seine Trilogie der menschlichen Zustände. Nach "Alle Namen" und "Die Stadt der Blinden" heißt dieser Roman "Das Zentrum und dieses Zentrum, die hochmoderne Stadt, scheint der Mittelpunkt allen Lebens zu sein.

In dessen alles beherrschende Einkaufszentrum liefert der alte Töpfer Cipriano seine Waren, die er im abgelegenen Dorf herstellt. Bisher konnten er und seine Tochter davon bescheiden leben, zumal der Schwiegersohn sein sicheres Gehalt als Wachmann im Zentrum beisteuert. Doch unvermittelt teilt man dem Alten mit, dass seine Produkte nicht mehr gefragt seien, Plastikgeschirr sei günstiger.

Der zuständige Abteilungsleiter verweist Cipriano auf die einfachen Gesetze des Marktes und belehrt ihn kühl: "So ist das Leben, es besteht zum großen Teil aus Dingen, die zu Ende gehen." Um so mehr fühlt sich der brave Töpfer von der Werbung des Zentrums verhöhnt, die nur Illusion, Fehlen von Sinn und damit eine einzige große Manipulation bietet. Dennoch gibt ausgerechnet die nüchterne Konsumwelt dem Vertreter des archaischen Handwerks eine vermeintliche Chance, denn er soll Nippes-Figuren liefern, hergestellt in seiner Töpferei.

Die Hoffnung, teilhaben zu können an dieser Marktwirtschaft, die so frei ist, nicht sozial zu sein, verleiht Cipriano neue Energie. Nur um ihn den Zynismus des Marktes noch perfider zu erleben zu lassen, denn seine Figuren fallen bei der Marktforschung durch. Es bleibt ihm nur das Altenteil, nicht als Rentner sondern als Kostgänger seiner Kinder, die nun auch noch mit ihm ins Zentrum ziehen. Hoffnungslos? Das Ende? Selbst den zugelaufenen Hund musste er im Dorf zurückgelassen. Und die Witwe Isaura, ihm sehr zugetan, der er sich als jetzt Einkommensloser aber nicht mehr anzubieten wagte.

Nun jedoch hat er ein Erlebnis, das dem Originaltitel "A Caverna" folgt und quasi Platons Höhlengleichnis in den Mittelpunkt rückt: "Der Mensch sieht nie die Dinge selbst, sondern stets nur ihre Schatten." Bei Bauarbeiten unterm Zentrum werden alte Katakomben gefunden und als Cipriano sie unerlaubt betritt, entdeckt er ihr streng gehütetes Geheimnis von niederschmetternder Symbolik. War er bisher ohnmächtig in der Ausweglosigkeit zwischen Familie oder Arbeit, zwischen Freiheit oder Sicherheit getaumelt, so trifft er nun eine Entscheidung: für die Würde.

Diese Geschichte hat der humanistische Moralist Saramago in einer wunderbar eigensinnigen Sprache wie ein Zwiegespräch mit dem Leser verfasst. Mal melancholisch, mal von lakonischem Sarkasmus geprägt, ist "Das Zentrum" ein anspruchsvoller Roman mit einer Leichtigkeit von geradezu zwingender Kraft: ein Roman, der gefangen nimmt und nachdenklich macht.

 

 

# José Saramago: Das Zentrum (aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis); 396 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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