NEAL STEPHENSON: "CRYPTONOMICON"

Neal Stephenson dürfte derzeit der einzige Kultautor sein, dem es gelingt, 1181 Seiten so mit einer Geschichte zu füllen, dass man sie am liebsten und mit Hochgenuss in einem Stück verschlingen möchte. "Cryptonomicon" heißt der Thriller, der vor innerer Spannung bebt und überquillt vor Ideen, Rätseln, Witz und dramaturgisch raffiniert aufgebauten Überraschungen.

Ein zentraler Handlungsstrang ist das Entschlüsseln von Nachrichten und das Tarnen dieser Fähigkeit. Natürlich ist so etwas von besonderem Interesse in Kriegszeiten und der reale Hintergrund sind hier konkrete Einrichtungen wie Bletchley Park in Großbritannien. Dort wurden einst die ersten Computer entwickelt, um die Enigma-Codes der deutschen Wehrmacht zu knacken. In "Cryptonomicon" sind es der geniale Mathematiker Lawrence Pritchard Waterhouse und der morphiumsüchtige Bobby Shaftoe, die beide zum Sonderkommando 2702 der US-Marines gehören. Sie knacken die schwierigsten Codes und ganz nebenher folgt eine Darlegung, wieso eigentlich Waterhouse die kriegswendende Schlacht bei Midway gewonnen hat, weil er unter skurrilen Bedingungen die japanischen Funsprüche entzifferte.

Doch der Roman spielt nicht nur in den 40er Jahren sondern auch in der Gegenwart von Internet und Hacker-Kultur. Da ist Enkel Randy Waterhouse im Nachlass des Großvaters auf den Arethusa-Funkspruch gestoßen, den selbst der beste aller Kryptoanalytiker nicht zu decodieren vermochte. Und nun fließt in das ohnehin schon sehr vielschichtige Geschehen auch noch die Suche nach einem damals offenbar versteckten Goldschatz der Achsenmächte ein.

Da wogen die Ereignisse zwischen den Kriegsschauplätzen in Europa und im Pazifikraum ebenso hin und her, wie sich mathematische und Cyber-Gedankengebäude mit handfester Action abwechseln. Tarnen, Täuschen, Entschlüsseln und Kodieren werden zur allgemeinen Manie und die Geschichte treibt brodelnd einem furiosen Finale entgegen. Stephenson selbst nennt diesen Roman 'Science in Fiction' und mit der kaltschnäuzigen, sarkastischen und unsentimentalen Sprache samt manch hintergründigem Humor hat er ganz gewiss ein weiteres Kultwerk geschaffen.

 

# Neal Stephenson: Cryptonomicon (aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl); 1181 Seiten; Manhattan Verlag, München; € 29   

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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