ISABELLE AUTISSIER: ACQUA
ALTA
Es steht fest, dass das alljährliche Acqua Alta, das Hochwasser Venedigs, stetig höher
ausfällt. Der beängstigenden Entwicklung hat die französische Erfolgsautorin Isabelle
Autissier nun einen Roman gewidmet.
Acqua Alta lautet der Titel und schon der erste elegante Satz eröffnet die
Situation: Der Nebel steht den Ruinen gut. Die Katastrophe ist also bereits
eingetreten und noch schlimmer, als befürchtet. Die altehrwürdige Stadt liegt in
Trümmern und wer nicht evakuiert werden konnte, ist umgekommen.
Eingangs erholt sich Guido Malegatti von den schweren Verletzungem, die er bei den
Ereignissen erlitten hat. Dann begibt er sich mit einem Boot auf die Suche nach Ehefrau
Maria Alba und Tochter Lea, die beide in der entseelten Stadt verschollen sind.
Doch Guido weiß dabei sehr wohl um die eigene Mitschuld an dem Untergang, denn als von
rücksichtslosem Ehrgeiz getriebener Wirtschaftsrat der weltberühmten Serenissima hatte
er maßgeblichen Anteil an den Entwicklungen, die die Katastrophe heraufbeschworen haben.
Er stand hinter Maßnahmen, die noch mehr alte Prachtbauten zu Hotels umzuwandeln, um noch
mehr reiche Touristen anzulocken. Seine skrupellosen Ideen reichten bis zu
Nachtbesichtigungen im Dogenpalast. Aus ärmliche Verhältnissen hatte er sich
hochgearbeitet und konnte schließlich mit Maria Alba sogar eine mondäne Frau aus altem
venezianischem Adel heiraten.
Die wiederum interessierte sich nur für sich selbst und ihre Wohlleben und auch Tochter
Lea war bis zum Schulabschluss ein entsprechend verwöhnter Teenager. Bis sie mit knapp 18
zu Beginn ihres Studiums auf Livio stieß, der ihr nicht nur als Mann die Unschuld nahm.
Er entfachte ein anderes, umweltbewusstes Denken in ihr.
Von da an kam es immer öfter zu heftigen Streitereien zwischen Vater und Tochter, wenn
diese gegen den verheerenden Massentourismus wetterte. Bis sie sich von der Demonstrantin
zur Aktivistin wandelt und zu Gleichgesinnten absetzt. Während die auf ihre Weise um die
Rettung Venedigs kämpfen, verlässt sich Wirtschaftsrat Malegatti auf das große
Sicherheitsprojekt MO.S.E (Modulo Sperimentale Elettromecanico), ein gigantisches
Sturmflutsperrwerk.
Das hat bereits Unsummen gekostet und benötigt jedes Jahr weitere Millionen Euro. Vor
allem aber gibt es eine Expertenwarnung: MO.S.E. - ich fürchte diese Maßnahme ist
schlimmer als das Übel selbst. Und dieses Menetekel ist nun tatsächlich
eingetroffen und Malegatti sinniert bei seiner Suche hoffnungslos über all die
Schönheiten der Lagunenstadt, die durch menschliche Hybris unwiederbringlich verloren
sind.
Wenn in dieser Tristesse überhaupt noch ein Funke Hoffnung möglich ist, dann liegt er
bei Lea, die sich so viel sei verraten auf eine kleine Insel retten konnte.
Fazit: souverän geschrieben, beeindruckt dieser feinsinnige Roman mit Tiefe und
Nachdenklichkeit.
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