JOSEPH CONRAD: „NOSTROMO“


Vor genau 100 Jahren starb Kultautor Joseph Conrad (1857-1924). Ein würdiger Anlass, mit „Nostromo“ eines seiner wohl besten Werke in einer Neuübersetzung herauszubringen. Die deutlich macht, dass sein politischster Roman noch heute von größter Aktualität ist.
Conrad betonte zum Erscheinen 1904 im Vorwort, das er hier erstmals nicht aus eigenem Erleben schreibe, gleichwohl beruhe auch diese Geschichte auf wahren Begebenheiten. Es geht darin um einen riesigen Silberdiebstahl, der im späten 19. Jahrhundert im lateinamerikanischen Staat Costaguana (gemeint ist vermutlich Kolumbien) tatsächlich geschah.
Zerrissen von politischen Konflikten mit wechselnden Junta-Herrschaften und Putschen dagegen, spielt die Silbermine von Charles Gould in den Bergen über der unbedeutenden Hafenstadt Sulaco eine entscheidende Rolle, denn dieser Reichtum ist von ausschlaggebender Bedeutung in dem hin- und herwogenden Wechsel der Systeme aus Unterdrückung und Ausbeutung.
Titelfigur Nostromo, ein Exil-Italiener, ist als ehemaliger Seemann zwar ein Tatmensch mitten aus dem Volk, fungiert aber als nützlicher Idiot für die Herrschenden, die ihn korrumpieren und instrumentalisieren. Als nun neue Machthaber anrücken, soll dieser Handlanger der Mächtigen die Silbervorräte der Minengesellschaft für die Konterrevolution auf eine nahe Insel retten.
Nostromo ist die Verballhornung des italienischen „nostro umomo“ (=unser Mann) und mit ihm als zentraler Figur werden Machtmissbrauch und Willkür auf großartige Weise entlarvt. Doch auch die übrige Schar der Charaktere ist so brillant gezeichnet, wie man es von diesem Meister des tiefgründigen Abenteuerromans kennt.
Ein erhellendes Nachwort hat Robert Menasse beigesteuert, aber auch das damalige umfangreiche Vorwort von Joseph Conrad bereichert den Anhang. Im Übrigen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Neuübersetzung der englischen Erstfassung folgt und deshalb auch heute als rassistisch geltende Begriffe belassen wurde, denn alles andere wäre Zensur gegenüber Conrad gewesen.
Fazit: ein altes Meisterwerk, das durch die exzellente Neuübersetzung ein hochmodernes Lesevergnügen ist.

# Joseph Conrad: Nostromo (aus dem Englischen von Gisbert und Julian Haefs); 553 Seiten, Nachwort von Robert Menasse); Manesse Verlag, München; € 38


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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